Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil nach Lage der Akten, Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Erlass eines Urteils nach Aktenlage ist das Arbeitsgericht nur befugt, wenn zuvor in mündlicher Verhandlung Anträge gestellt worden sind. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn lediglich in der Güteverhandlung die Sach- und Rechtslage erörtert worden ist.
2. Erlässt das Arbeitsgericht ein Urteil nach Lage der Akten, obgleich zuvor keine Anträge in mündlicher Verhandlung gestellt worden sind, so führt dies im Regelfall zur Zurückverweisung des Rechtsstreits entsprechend § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO. § 68 ArbGG steht dem nicht entgegen.
Normenkette
ArbGG § 54 Abs. 1 S. 1, § 68; ZPO §§ 331a, 251a Abs. 2 S. 1, § 538 Abs. 2 Nrn. 2, 6
Verfahrensgang
ArbG Herford (Urteil vom 19.05.2010; Aktenzeichen 2 Ca 1712/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil das Arbeitsgerichts Herford vom 19.05.2010 (2 Ca 1712/09) aufgehoben.
Die Sache wird an das Arbeitsgericht Herford zur weiteren Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Berufung zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch Kündigungen aufgelöst wird, die der Beklagte auf Gründe im Verhalten des Klägers stützen will.
Der Kläger, geboren am 12.10.1957, ist seit dem 01.01.1990 für den Beklagten als Diplom-Psychologe und Erziehungsleiter tätig. Der Beklagte ist Träger von Jugendhilfeeinrichtungen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT-KF Anwendung. Der Kläger erzielte zuletzt ein monatliches Einkommen in Höhe von 4.734,56 EUR brutto.
Mit Schreiben vom 21.10.2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2010. Ausweislich des Kündigungsschreibens wirft der Beklagte dem Kläger eine Vielzahl von Pflichtverletzungen vor; der Kläger sei seit Jahren seinen Arbeitspflichten als verantwortlicher Erziehungsleiter und Diplom-Psychologe nicht nachgekommen und habe insbesondere seine Kontrollpflichten massiv verletzt. Der Kläger hat diese Kündigung mit der Klage angegriffen, die am 02.11.2009 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist.
Mit einem weiteren Schreiben vom 14.01.2010 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis abermals fristlos. Ausweislich des Kündigungsschreibens wirft der Beklagte dem Kläger vor, pädagogische Mitarbeiter einer Wohngruppe eigenmächtig und gegen eindeutige Anweisungen verstoßend von der Zahlung des Sachkostenrichtwertes für die Einnahme von Mahlzeiten während der Dienstzeit befreit zu haben. Der Kläger hat diese Kündigung mit einem klageerweiternden Schriftsatz angegriffen, der am 19.01.2010 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist.
In der Güteverhandlung vom 04.12.2009 ist die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert worden. Eine gütliche Erledigung des Rechtsstreits konnte nicht herbeigeführt werden. Das Arbeitsgericht hat einen Kammertermin auf den 05.05.2010 anberaumt und den Parteien aufgegeben, innerhalb festgesetzter Fristen vorzutragen.
Mit klageerwiderndem Schriftsatz vom 16.02.2010 hat der Beklagte die Kündigungsgründe im Einzelnen dargelegt. Der Kläger hat innerhalb der gesetzten Frist nicht Stellung genommen. Mit Schriftsatz vom 04.05.2010 kündigte die Prozessbevollmächtigte des Klägers an, dass die Klägerseite den Kammertermin nicht wahrnehmen werde und gegebenenfalls insoweit Versäumnisurteil ergehen möge.
Nachdem für den Kläger im Kammertermin vom 05.05.2010 niemand erschien, beantragte der Beklagtenvertreter,
die Klage abzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden, hilfsweise durch Versäumnisurteil.
Das Arbeitsgericht verkündete am Ende der Sitzung einen Beschluss, mit dem es Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 19.05.2010 anberaumte. Am 19.05.2010 verkündete das Arbeitsgericht folgendes Urteil:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Das Arbeitsgericht hat die in der Klageerwiderung vom 16.02.2010 dargelegten Vorwürfe nach § 138 Abs. 1 und 3 ZPO als unstreitig angesehen und hat die Klage für unbegründet gehalten. Der Kläger habe in erheblichem Maße gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, die im Einzelfall wie in der Gesamtschau die außerordentliche Kündigung vom 21.10.2009 rechtfertigten. Das Arbeitsgericht hat sich den Sachvortrag und die rechtliche Bewertung des Beklagten nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 16.02.2010 zu Eigen gemacht. Das Arbeitsgericht ist davon ausgegangen, gemäß §§ 331a Satz 1, 251a Abs. 2 ZPO nach Lage der Akten entscheiden zu können. Sinn und Zweck der Möglichkeit einer Entscheidung nach Lage der Akten sei es, der Gefahr vorzubeugen, dass eine Partei unter Inkaufnahme des relativ ungefährlichen Versäumnisurteils in Verschleppungsabsicht dem Termin fernbleibe. Die Güteverhandlung gelte als mündliche Verhandlung im Sinne des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO. Im Übrigen wird auf Tatbe...