Entscheidungsstichwort (Thema)
Liquidationsrecht. Annahmeverzug
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Chefarzt, dem ein privates Liquidationsrecht als Teil der Vergütung arbeitsvertraglich zugesagt worden ist, kann die ihm entgangenen Einnahmen für die Zeit seiner Nichtbeschäftigung nach einer – unwirksamen – außerordentlichen Kündigung nicht unter dem Ge-sichtspunkt des Annahmeverzugs (§§ 611, 615 BGB) verlangen. Da die Zusage eines Liquidationsrechts eine Naturalvergütung darstellt, besteht vielmehr ein Schadensersatzanspruch. Für die Vergangenheit ist die Erfüllung des Anspruchs auf Naturalvergütung dem Arbeitgeber unmöglich geworden.
2. Aufgrund der schadensersatzrechtlichen Begründung ist der Anspruch auf Ersatz der entgangenen Einnahmen davon abhängig, dass den Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung ein Verschulden trifft. Dieses ist zu bejahen, wenn der Arbeitgeber dem jahrzehntelang beschäftigten Chefarzt eine wissentliche Falschabrechnung der Liquidationseinnahmen vorwirft, ohne ihm ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
3. Eine objektive Falschabrechnung in erheblichem Umfang durch den Chefarzt kann zu einer Minderung des Schadensersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens führen.
Normenkette
BGB §§ 611, 615
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 27.08.2008; Aktenzeichen 4 Ca 2588/07) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 27.08.2008 – 4 Ca 2588/07 – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 102.309,44 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.12.2007 zu zahlen.
Die weitergehenden Berufungen werden zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens zu 53,7 %, die Beklagte zu 46,3 %. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Kläger zu 60 %, die Beklagte zu 40 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 229.508,37 EUR
Tatbestand
Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche, die der Kläger für die Zeit nach Ausspruch mehrerer außerordentlichen, rechtskräftig für unwirksam erklärten Kündigungen des Arbeitsverhältnisses verfolgt.
Der am 24.10.1943 geborene Kläger war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 16.09.1976 seit dem 01.10.1976 als Leitender Arzt der Anästhesie-Abteilung des Marienhospitals in G2 beschäftigt. Die Beklagte als Trägerin dieses Krankenhauses ist Rechtsnachfolgerin der Katholischen Kirchengemeinde S4. A3. Das Arbeitsverhältnis ist jedenfalls spätestens mit Ablauf des 31.12.2008 wegen Erreichens der Altersgrenze beendet.
Im schriftlichen Arbeitsvertrag wird, wie sich aus § 4 ergibt, zwischen der Haupttätigkeit nach § 3 und seiner Nebentätigkeit nach § 5 differenziert. § 3 bestimmt unter anderem, dass der Arzt verpflichtet ist, die stationäre Behandlung aller Patienten seiner Abteilung durchzuführen und die Untersuchung und Mitbehandlung der stationären Patienten der anderen Abteilungen des Krankenhauses zu übernehmen, soweit sein Fachgebiet berührt wird. Zur Nebentätigkeit heißt es in § 5, dass der Arzt berechtigt oder auf Wunsch des Krankenhauses verpflichtet ist, über den Rahmen seiner Haupttätigkeit im Sinne des § 3 im Krankenhaus im Einzelnen mit Ambulanz-, Sprechstundenpraxis- und Konziliar- und Gutachtertätigkeit bezeichnete Nebentätigkeiten auszuüben. Andere Nebentätigkeiten, insbesondere eine Kassenpraxis oder eine freie Praxis außerhalb des Hauses, bedürfen der Genehmigung des Trägers. Zur Vergütung des Klägers verhält sich § 6, der in seinem Absatz 1 bestimmt, dass der Arzt ein Gehalt nach Vergütungsgruppe 1 der AVR des Deutschen Caritasverbandes erhält. In Abs. 3 heißt es, dass der Arzt das Liquidationsrecht gemäß § 7 Abs. 1 und 2 erhält. § 7, der außerdem die Abwicklung des Liquidationsrechts regelt, bestimmt hierzu im Einzelnen:
„§ 7
Der Arzt ist berechtigt, für die von ihm oder unter seiner Verantwortung bei der stationären Behandlung erbrachten ärztlichen Leistungen als gesondert berechenbare ärztliche Leistung im Sinne der jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen gegenüber Patienten zu liquidieren, die eine persönliche Behandlung durch ihn wünschen und dies mit dem Krankenhaus vereinbart haben. Durch die Erbringung dieser gesondert berechenbaren ärztlichen Leistungen darf die ärztliche Versorgung im Sinne des § 3 dieses Vertrages aller Patienten seiner Fachabteilung nicht beeinträchtigt werden.
Die gesondert berechenbaren ärztlichen Leistungen, die in Bezug auf die möglichen Patienten des Krankenhauses höchstens 10 % betragen sollen, werden im Hinblick auf die geringere Zahl der möglichen Patienten der Fachabteilung Anästhesie auf höchstens 20 % festgesetzt.
- Der Arzt ist berechtigt, im Zusammenhang mit den Nebentätigkeiten nach § 5 für die rein ärztlichen Leistungen zu liquidieren.
- Die Liquidation gemäß Abs. 1 und 2 werden vom Arzt ausgestellt und eingezo...