Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung. sexueller Missbrauch. Anforderungen an eine Verdachtskündigung wegen sexuellen Missbrauchs bei einem Lehrer
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Vorwurf außerdienstlicher Vergehen des sexuellen Missbrauchs gegenüber einem sieben- bzw. achtjährigen Mädchen ist generell geeignet ist, eine fristlose Kündigung gegenüber einem als Lehrer am Berufskolleg tätigen Arbeitnehmer zu rechtfertigen.
2. a) Bei einer Verdachtskündigung sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen.
b) Der notwendige, schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss ferner dringend sein, d.h. bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeigen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung bestehen; bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Münster (Entscheidung vom 07.04.2009; Aktenzeichen 3 Ca 1890/08) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 07.04.2009 - 3 Ca 1890/08 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 17.09.2008 nicht aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen auf demselben Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner unter dem 24.09.2008 beim Arbeitsgericht in Münster eingegangenen Klage begehrt der Kläger Kündigungsschutz gegen die fristlose Kündigung vom 17.09.2008.
Der 1954 geborene Kläger war seit dem 02.09.2002 als angestellter Lehrer am Berufskolleg B1 West beschäftigt. Dort unterrichtete er die Fächer Englisch und Musik. Er erhielt nach dem TV-L ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 3.740,00€.
Im Jahr 2003 wurde der Kläger mit Strafbefehl wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt. Das beklagte Land erteilte dem Kläger eine Abmahnung. Die Abmahnung wurde im Februar 2007 gemäß Tilgungsverordnung aus der Personalakte entfernt.
Am 09.10.2007 wurde gegen den Kläger eine Anzeige erstattet. Am 10.10.2007 informierte die Kriminalpolizei telefonisch die Bezirksregierung und bat im Hinblick auf die anstehenden Ermittlungen darum, noch keinen Kontakt zum Kläger aufzunehmen. Am 27.11.2007 fragte die Bezirksregierung bei der Kriminalpolizei nach dem Sachstand. Sie erhielt die Antwort, die Akten seien an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden. Am 03.12.2007 übermittelt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte an die Bezirksregierung. Eine telefonische Anfrage bei der Staatsanwaltschaft ergab, der Kläger habe die Anschuldigungen bestritten, die einzige Zeugin, die achtjährige C., sei aufgrund ihres Alters nicht unbedingt glaubwürdig, es werde das Ergebnis eines psychologischen Glaubwürdigkeitsgutachtens abgewartet. Am 05.05.2008 war dieses Gutachten erstellt. Am 25.06.2008 nahm die Bezirksregierung Einsicht in die Ermittlungsakte. Unter dem Datum des 29.08.2008 erstellte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift an die Große Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt (Bl. 122 - 126 GA / auszugsweise wiedergegeben am Ende des Tatbestands). Mit Schreiben vom 26.08.2009 informierte die Staatsanwaltschaft die Bezirksregierung. Die Anklageschrift wurde als Anlage übersandt. Schreiben und Anlage gingen am 29.08.2008 bei der Bezirksregierung ein. Am 02.09.2008 erhielt die zuständige Mitarbeiterin Kenntnis vom Eingang der Anklageschrift, die daraufhin den Kläger vom Dienst suspendierte und mit Schreiben vom 03.09.2008 den Kläger über seinen Rechtsanwalt zu den Vorwürfen bis zum 09.09.2008 anhörte (vgl. Anhörungsschreiben Bl. 29 GA bzw. Bl. 30 GA). Unter dem 09.09.2008 nahm der Kläger Stellung (Bl. 32 GA):
" .....Wir wenden uns für unseren Mandanten gegen eine Verdachtskündigung. Ein Verdacht besteht tatsächlich nicht zurecht. Weder Herrn L1 noch uns ist von der StA bisher eine Anklageschrift zugestellt worden....Wir haben der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 11.08.2008 ein von Herrn L1 in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten übermittelt, das sich methodenkritisch mit dem Glaubwürdigkeitsgutachten auseinandersetzt, das die Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben hat. Wir haben dann beantragt eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anzuordnen, weil das vorliegende aussagepsychologische Gutachten ungenügend ist. Diesem Antrag hat die Staatsanwaltschaft - wenn denn Anklage erhoben worden ist - nicht stattgegeben. Der gegen Herrn L1 vorgebrachte Verdacht beruht auf der A...