Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers durch eine niedrige Sozialplanabfindung wegen der Möglichkeit eines früheren Renteneintritts

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung beruhende Ungleichbehandlung liegt vor, wenn eine Regelung vorsieht, dass einem schwerbehinderten Arbeitnehmer bei Entlassung wegen der Möglichkeit eines früheren Renteneintritts ein geringerer Abfindungsbetrag zu zahlen ist als einem nicht behinderten Arbeitnehmer und der niedrigere Abfindungsanspruch nicht durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zu seiner Erreichung angemessen und erforderlich sind.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3, 7, 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1-2, § 7 Abs. 1-2; SGB VI § 236a Abs. 1-2; BetrVG §§ 77, 112

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 12.10.2016; Aktenzeichen 3 Ca 827/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.10.2016 - 3 Ca 827/16 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.755,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.09.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt 58 % der Kosten des Rechtsstreits, die Beklagte trägt 42 % der Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger beansprucht eine höhere Abfindung mit der Begründung, die Regelung zur Berechnung der Abfindung im Sozialtarifvertrag / Sozialplan aus dem Jahr 2014 benachteilige ihn ungerechtfertigt wegen seiner Schwerbehinderung.

Der langjährig bei der Beklagten beschäftigte Kläger schied mit Ablauf des 31.12.2014 auf der Grundlage eines dreiseitigen Vertrags aus betriebsbedingten Gründen aus dem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten aus. Der dreiseitige Vertrag vom 21.August / 22.August / September 2014 weist in § 1 einen bezifferten "einmaligen Abfindungsbetrag" zugunsten des Klägers aus "als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes nach Maßgabe der Ziffer C. 2.6 und 2.3a des Sozialtarifvertrages/ Sozialplans in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG, §§ 24, 34 EStG" (Kopie des dreiseitigen Vertrags Bl. 95 - 107 GA). Vor Rücksendung des unterzeichneten dreiseitigen Vertrags erhielt der Kläger von der Beklagten eine e-mail-Nachricht vom 12.09.2014 (Anlage K 5, bl. 108, 109 GA). Wegen deren Inhalt wird auf Bl. 108, 109 GA Bezug genommen. Wegen des Inhalts eines nachfolgenden Schreibens der Anwälte des Klägers vom 26.09.2014 des Klägers wird auf S. 5 der Klageschrift verwiesen (Bl. 68 GA / Hinweis auf Verstoß gegen europäisches Recht bei Abstellen auf frühestmöglichen Renteneintrittstermin für Schwerbehinderte bei der Berechnung der Abfindung), wegen weiterer Schreiben der Beklagten vom 30.01.2015, 04.03.2015 und 09.03.2015 auf die zur Akte gereichten Kopien (Anlage K 6, Bl. 110 GA, Anlage K 7, Bl. 112, 113 GA, Anlage K 8, Bl. 114 GA; Kontoauszug 10.03.2015 Anlage K 9, Bl. 115 GA), wegen weiterer Schreiben der Anwälte des Klägers vom 25.03.2015 und vom 16.04.2015 ebenfalls auf die eingereichten Kopien (Anlagen K 10 und K 11, Bl. 116 - 119 GA) und weiter ergänzend auf die Anlagen K 12 - K 16 (Bl. 120 - 126 GA).

Der Kläger ist nicht Mitglied der IG Metall. Die individuellen Daten des Klägers dieses Rechtsstreits sind:

Geburtsdatum Kläger

xx.xx.1956

GdB

50

Betriebszugehörigkeit seit

25.08.1975

Bruttomonatsentgelt

3.224,52 €

Abfindung (lt. dreiseitigem Vertrag)

18.100,00 €

Renteneintritt bei Schwerbehinderung*

01.06.2017

* frühestmöglicher Renteneintritt

Auf das zur Akte gereichte "Datenblatt zur Berechnung gemäß Sozialtarifvertrag 'C2.2.2.3a, 2.5 sowie 2.6. und 3.1.1'" wird Bezug genommen (Bl. 77 ff GA).

Die Beklagte hatte im Jahr 2013 beschlossen, den Produktionsstandort in C zu schließen. Das Werk II sollte zum 31.10.2013 und das Werk I zum 31.12.2014 geschlossen werden. Nach Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall wurde am 17.11.2013 von der Beklagten und der IG Metall ein Eckpunktepapier unterzeichnet, in dem es unter "V. Sozialplan / Transfergesellschaften" auszugsweise heißt (Anlage B1 Bl. 209, 210 GA):

"(...)

Das Gesamtvolumen dieser Maßnahmen beträgt ausweislich dieser Anlage EUR 552 Mio. Das ist die absolute Obergrenze.

(...)"

Im Zuge der vollständigen Stilllegung des Betriebs in C schloss die Beklagte mit der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, einen Sozialtarifvertrag (STV), der am 12.06.2014 in Kraft trat (Sozialtarifvertrag zwischen der IG Metall - Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der B P AG über die Schließung der Fahrzeugproduktion am Standort C vom 12.06.2014). Dort heißt es auszugsweise (Anlage K 3 Bl. 79 - 94 GA sowie Anlage B2, Bl. 211 - 226 GA):

"(...)

C. Sozialplan

1. Mobilitätsprämie bei Wechsel an einen anderen Standort

(...)

2. Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1959

2.1 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954

Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954 erhalten zu...

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