Die Revision wird zugelassen.

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsvertrag / Anfechtung / arglistige Täuschung / Schwerbehinderung / Fragerecht / Verlust des Anfechtungsrechts / Bestätigung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Arbeitnehmer bei seiner Einstellung im Jahre 1999 die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft unrichtig beantwortet, so ist der Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung im Jahre 2002 auch dann noch berechtigt, wenn man seit Inkrafttreten des SGB IX die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft für unzulässig hält.

 

Normenkette

BGB §§ 123, 144, 242

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Urteil vom 05.06.2003; Aktenzeichen 3 Ca 2619/02)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 2 AZR 41/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 05.06.2003 – 3 Ca 2619/02 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger, welcher zunächst aufgrund Arbeitsvertrages vom 02.11.1999 befristet bis zum 30.04.2000 und sodann aufgrund weiteren Vertrages vom 28.04.2002 seit dem 01.05.2002 unbefristet als gewerblicher Arbeitnehmer im Betrieb der Beklagten tätig war, gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige Anfechtung des Arbeitsvertrages gemäß Schreiben vom 22.07.2002 (Bl. 5 d.A.). Zur Begründung der Anfechtung stützt sich die Beklagte auf den unstreitigen Umstand, dass der Kläger im Personalbogen vom 28.10.1999 die Frage „Sind Sie Schwerbehinderter?” mit „Nein” beantwortet hatte, obgleich er tatsächlich seit dem Jahre 1984 mit einem GdB von 50 als Schwerbehinderter anerkannt war.

Durch Urteil vom 05.06.2003 (Bl. 39 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, in der unrichtigen Beantwortung der Frage nach einer Schwerbehinderung liege eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB, welche die Beklagte zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigt habe. Jedenfalls nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Einstellung des Klägers sei nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Frage nach dem Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft zulässig und damit wahrheitsgemäß zu beantworten gewesen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Behinderung für die ausübende Tätigkeit von Bedeutung sei. Für die Einstellung des Klägers sei die Täuschungshandlung auch kausal gewesen, da die Beklagte erklärt habe, dass sie den Kläger nicht eingestellt haben würde, wenn sie von seiner Schwerbehinderteneigenschaft gewusst hätte. Zudem sei aufgrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Schwerbehinderteneigenschaft auf das Arbeitsverhältnis davon auszugehen, dass das Nichtbestehen einer Schwerbehinderung für die Beklagte von Bedeutung gewesen sei. Die Bedeutung der Täuschungshandlung für das Arbeitsverhältnis sei auch nicht durch Zeitablauf entfallen. In Anbetracht der Jahresfrist des § 124 BGB könne die Tatsache, dass die Beklagte nach Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers im März 2002 die Anfechtung erst im Juli 2002 erklärt habe, zu einer Verwirkung des Anfechtungsrechts nicht genügen. Entsprechendes gelte für die Gewährung des vom Kläger im Jahr 2002 beantragten Zusatzurlaubs gemäß § 47 SchwbG, da diese lediglich in Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung erfolgt sei. Schließlich verstoße die Beklagte mit der Anfechtung nicht gegen Treu und Glauben. Allein die Tatsache, dass der Kläger trotz seiner Schwerbehinderung seit längerer Zeit beanstandungsfrei gearbeitet habe, lasse die Bedeutung der Täuschung nicht entfallen, da durch den Schwerbehindertenstatus eine dauerhafte Belastung des Arbeitsverhältnisses vorliege.

Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich der Kläger gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung und führt aus, unter den vorliegenden Umständen müsse die Frage nach der Schwerbehinderung als unzulässig angesehen werden. Aus dem Vortrag der Beklagten, dass sie den Kläger nicht eingestellt hätte, wenn sie über seine Schwerbehinderung informiert worden wäre, ergebe sich, dass für sie die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen grundsätzlich und auch dann nicht in Betracht komme, wenn sie die bestehenden Arbeitsaufgaben beanstandungsfrei erfüllten. Die Beklagte trage selbst nicht vor, sie beschäftige entsprechend der Pflichtquote eine ausreichende Mindestanzahl schwerbehinderter Menschen. Ein berechtigtes und billigenswertes Interesse der Beklagten an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderung habe nach alledem nicht vorgelegen, so dass aus der wahrheitswidrigen Antwort des Klägers kein Anfechtungsgrund abgeleitet werden könne.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht im Übrigen auf die Rechtslage nach dem bis zum 30.06.2001 geltenden Schwerbehindertengesetz abgestellt. Maßgeblich sei vielmehr der Zeitpunkt der Ausübung des Anfechtungsrec...

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