Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste.Hier: Herausnahme von Leistungsträgern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Sozialauswahl ist nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO grob fehlerhaft, wenn die Gewichtung der sozialen Kriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt und ein evidenter, ins Auge springender Fehler vorliegt. Dies kann der Fall sein, wenn tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind oder bei der Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist oder bei der Herausnahme von Leistungsträgern gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind.
2. Werden in einer Betriebsabteilung achtzehn von zwanzig beschäftigten Arbeitnehmern als Leistungsträger aus der Sozialauswahl herausgenommen, so indiziert dies die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3 Sätze 1-2; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Urteil vom 20.04.2006; Aktenzeichen 1 (2) Ca 1332/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 20.04.2006 – 1 (2) Ca 1332/05 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 15.07.2005 nicht zum 31.10.2005 aufgelöst worden ist.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 3/5 und der Kläger zu 2/5.
Streitwert für das Berufungsverfahren: unverändert 16.430,30 EUR.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der von dem Beklagten aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 15.07.2005 zum 31.10.2005.
Der am 12.13.14xx geborene Kläger, der verheiratet ist und noch eine Tochter zu unterhalten hat, war seinen Angaben zufolge seit Juni 1992, nach den Angaben des Beklagten seit dem 01.01.1993 bei der in B2x L1xxxxxxxxx a1xxxxxxxx S2xxxxxxxxxx GmbH, einem Möbelwerk, zuletzt als Kraftfahrer im Fuhrpark gegen eine monatliche Vergütung von 3.286,00 EUR brutto tätig.
Über das Vermögen der S2xxxxxxxxxx GmbH wurde am 01.07.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser schloss mit dem Betriebsrat am 08.07.2005 eine umfängliche Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich, der sich über ein Sanierungskonzept zur Fortführung der Kernbereiche des Schuldnerunternehmens verhält und den Abbau von 151 Arbeitsplätzen vorsieht.
Nach der Darstellung im Interessenausgleich fallen im Fuhrpark 16 der bisher vorhandenen 36 Arbeitsplätze weg, weil die Auslieferung der Waren auslastungsorientiert erfolgen und eine Auslastung von zwei Touren pro Woche bei einer Mindestbeladung von 52 qm pro Auflieger erreicht werden soll. Die zu entlassenden Arbeitnehmer sind namentlich in einer Liste mit Angaben ihrer sozialen Daten aufgeführt. Darunter befindet sich auch der Kläger, der nach einem mit dem Betriebsrat abgestimmten Punkteschema ohne Berücksichtigung unterhaltspflichtiger Kinder 75 Sozialpunkte erreicht. Der Kläger erlitt am 05.07.2001 einen Arbeitsunfall und bezieht wegen geminderter Erwerbsfähigkeit von der Berufsgenossenschaft eine Rente in Höhe von 20 %.
Im Rahmen der sozialen Auswahl ist der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Darstellung des Beklagten in Abstimmung mit dem Betriebsrat nach folgenden Qualifikationsstufen gebildet worden:
- • MB FA = Maschinenbediener und Facharbeiter
- • MB ang. = angelernter Maschinenbediener
- • FA = Facharbeiter
- • Helfer qualifizierte Tätigkeit
- • Helfer einfache Tätigkeit
Die Sozialdaten sind wie folgt gewichtet worden:
- Unterhaltspflicht für Ehegatten: 8 Punkte
- Unterhaltspflicht für Kinder: 4 Punkte pro Kind gemäß Lohnsteuerkarte
- Betriebszugehörigkeit: 1 Punkt pro Jahr bis zu 10 Jahren, 2 Punkte pro Jahr ab dem 11. Jahr
- Lebensalter: 1 Punkt pro Jahr, max. 55 Punkte
- Schwerbehinderung ab GdB 50: 4 Punkte
Gemäß Kapitel XI des Interessenausgleichs sind insgesamt 25 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG von der Sozialauswahl ausgenommen worden. Darunter 18 Arbeitnehmer aus dem Fuhrpark, nämlich:
W2xxxxxx H2xxx, 40 Jahre alt, 5 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, drei Kinder;
A3xxx E1x, 40 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;
P3xxx B5xxxxxx, 46 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder;
H1xxx-A4xxxxx F2xxx, 41 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;
H1xxx-G1xxx B3xxx, 47 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, ledig, keine Kinder;
P3xxx B4xxxxxx, 37 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, drei Kinder;
G2xxxxx B6xxx, 49 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;
H3xxx K5xxxxx, 52 Jahre, 11 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;
A5xxxxxxx K6xxxxxxx, 44 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, zwei Kinder...