Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsdogmatischer Ansatz einer Gesetzesanalogie. Keine Rechtsanalogie zu § 10 AÜG (a.F.) bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung. Wesensmerkmale eines institutionellen Rechtsmissbrauchs im deutschen Zivilrecht. Folgen eines Rechtsmissbrauchs durch gewolltes und bewusstes Zusammenwirken mehrerer Personen bei Vertragsgestaltungen. Tariföffnung und Vorrang für Betriebsvereinbarungen im Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der M+E-Industrie Nordrhein-Westfalen
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Gesetzesanalogie bedarf immer einer besonderen Legitimation. Diese kann in einer unbeabsichtigten ("planwidrigen") Gesetzeslücke liegen, die zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Sinne des gesetzlich verfolgten Zwecks durch eine Analogie gefüllt werden kann.
2. Die Situation eines nicht nur vorübergehend überlassenen Arbeitnehmers ist nicht vergleichbar mit der Situation eines ohne Erlaubnis überlassenen Arbeitnehmers. Eine analoge Anwendung der Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a.F. (Fiktion eines festen Arbeitsverhältnisses) kommt daher für den erstgenannten Fall nicht in Betracht.
3. Rechtsmissbrauch ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sich ein Vertragspartner durch eine an sich rechtlich mögliche Vertragsgestaltung Vorteile zum Nachteil des anderen Vertragspartners verschafft. Dazu zählt eine unbillige Abweichung von Normen oder Rechtsinstituten, die nach der Konzeption des Gesetzgebers eine andere Zielsetzung haben.
4. Liegt ein Rechtsmissbrauch vor, folgt daraus nicht zwingend, dass das Rechtsverhältnis nichtig ist. Je nach Einzelfall, Vertragsgestaltung und Ausmaß der rechtsmissbräuchlichen Regelung können sich Vertragsansprüche gegen die beteiligte(n) Person(en) ergeben. Entscheidend ist der Schutzzweck der rechtsmissbräuchlich umgangenen Norm.
5. Die Vorschrift des § 3 Ziff. 1 TV LeiZ NRW sieht vor, dass die Betriebsparteien in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung den Einsatz der Leiharbeit betrieblich regeln können. Dies ist das zulässige Gebrauchmachen der Betriebsparteien von einer tariflichen Öffnungsklausel i.S.d. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG.
Normenkette
AÜG § 10 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2014-08-11; TV LeiZ Metall- u. Elektro-Industrie NRW § 3 Nr. 1 Fassung: 2012-05-24, § 7 Fassung: 2012-05-24; BetrVG § 99 Abs. 1, § 100; BGB § 242
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 06.09.2017; Aktenzeichen 5 Ca 776/17) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 06.09.2017 - 5 Ca 776/17 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über die Pflicht der Beklagten zu 1) zur Annahme eines Arbeitsvertragsangebotes des Klägers.
Der Kläger war seit dem 03. Juni 2011, zuletzt auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29. November 2013 (Bl. 135 ff. d. A.) als Facharbeiter-Anlagetechnik für die Beklagte zu 2) in Vollzeit zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von 3.177,00 € tätig.
Die Beklagte zu 2) betreibt ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge des Interessenverbandes deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) Anwendung. Die Beklagte zu 2) besitzt seit dem 06. Februar 2002 die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern, seit dem 06. Februar 2005 unbefristet (Bl. 70 d. A.).
Seit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses wurde der Kläger von der Beklagten zu 2) im Werk der Beklagten zu 1) in S eingesetzt. Die Beklagte zu 1) ist Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V.. Seit April 2017 ist der Kläger Mitglied der Gewerkschaft IG-Metall.
Die Beklagte zu 1) und der in ihrem Betrieb in S gewählte Betriebsrat schlossen am 29. Juli 2009 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von Fremdpersonal (im Folgenden BV Fremdpersonal) ab (Bl. 58 ff. d. A.). In der nach wie vor ungekündigt fortgeltenden Betriebsvereinbarung heißt es unter anderem wörtlich:
"...
I.
Präambel
Zur Anpassung der Personalkapazitäten an die im Betrieb vorhandenen Auslastungsschwankungen, die durch andere betriebliche oder gesetzliche Flexibilisierungsmaßnahmen nicht ausgeglichen werden können, soll Fremdpersonal eingesetzt werden.
Seitens der Geschäftsführung besteht nicht die Absicht die Belegschaft des Betriebes im Rahmen der allgemeinen Fluktuation vollständig oder überwiegend durch Fremdpersonal zu ersetzen. Aus diesem Grund wird der Einsatz von Fremdpersonal im Rahmen dieser Betriebsvereinbarung durch entsprechende Quotenregelungen ersetzt.
...
II.
Einsatz von Fremdpersonal
1. Im Betrieb werden Leiharbeiter vorzugsweise von der B GmbH eingestellt. Abweichungen sind in Abstimmung mit dem Betriebsrat zulässig.
2. Scheiden Beschäftigte der Stammbelegschaft aus natürlichen Gründen (insbesondere Eigenkündigung, Altersteilzeit, Rentenzugang) aus dem Arbeitsverhältnis aus und sollen die...