Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialauswahl. Unterhaltspflichten. Lohnsteuerkarteneinträge. Interessensausgleich mit Namensliste
Leitsatz (redaktionell)
Im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3, 5 KSchG kann für die Ermittlung der Unterhaltspflichten nicht auf die Eintragungen der Lohnsteuerkarte zurückgegriffen werden. Anders als im Rahmen von Betriebsratsanhörungen und Abfindungsregelungen in Sozialplänen, kommt es bei der Sozialauswahl zwingend auf die tatsächlichen Unterhaltsverpflichtungen an.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Minden (Urteil vom 18.04.2005; Aktenzeichen 4 Ca 1720/04) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 18.04.2005 – 4 Ca 1720/04 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 8.500,00 EUR
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf betriebsbedingte Gründe gestützten Kündigung.
Die im August 1967 geborene Klägerin wurde von der Beklagten mit Wirkung vom 02.01.1991 als Verpackungshelferin in der Betriebsstätte der Beklagten in E2xxxxxxx eingestellt. Ihre monatliche Vergütung belief sich bei einer Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden nach ihren Angaben zuletzt auf ca. 1.700,00 EUR brutto, während die Vergütung der Klägerin in der Liste zum Sozialplan mit 1.936,00 EUR brutto vermerkt ist. Die Klägerin lebt von ihrem Ehemann getrennt. Sie hat zwei Kinder, die im Zeitpunkt der Kündigung acht und 18 Jahre alt waren. Beide Kinder leben im Haushalt der Klägerin. Das ältere Kind – der am 08.07.1986 geborene Sohn – besuchte bis zum Sommer 2005 eine Kollegschule. Für die Tochter bezieht die Klägerin Unterhaltszahlungen des Vaters.
Geschäftsgegenstand der Beklagten ist die Herstellung und der Vertrieb hochwertiger Ersatzteile für Fahrzeugelektronik für den internationalen Markt. Auf dem Hintergrund eines massiven Preiskampfes mit Mitbewerbern und fortschreitender Marktanteilverluste entschloss sich die Geschäftsführung der Beklagten im Frühjahr 2004, die Produktion im Bereich Automotive in wesentlichen Teilen nach Indien zu verlagern. In dem unter dem 07.09.2004 unterzeichneten, seit Anfang Juni 2004 verhandelten Interessenausgleich ist festgehalten, dass ein Teil der Produktion bereits gegen Ende Oktober 2004 nach Indien verlagert werden sollte. Kündigungen sollten im Zuge dieses ersten Schrittes durch die Nichtweiterbeschäftigung von Leiharbeitnehmern vermieden werden. Die sich daran anschließende Verlagerung der weiteren Teile der Produktion war nach dem Interessenausgleich für die Zeit von Anfang März bis Ende Juni 2005 vorgesehen, was in der Betriebsstätte in E2xxxxxxx mit einem Abbau von 37 von 70 Arbeitsplätzen verbunden sein sollte. Von der Verlagerung ausgeschlossen bleiben sollten die Bereiche Logistik, Stanzerei und Spritzerei.
In § 4 des Interessenausgleichs heißt es:
„… Zur Ermittelung der zu kündigenden Arbeitnehmer wurde eine Sozialauswahl vorgenommen.
Dabei haben sich Betriebsrat und Firma zunächst daran orientiert, dass die betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträger Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder, die auf Grund der Teilnahme an Betriebsratssitzungen besonderen Kündigungsschutz genießen) von dem Personalabbau ausgenommen wurden
Im Übrigen haben Betriebsrat und Firma bei den danach umfassend miteinander vergleichbaren Arbeitnehmern der Produktion der Sozialauswahl folgende Richtlinie zu Grunde gelegt (§ 95 BetrVG i. V. m. § 1 Abs. 3 bis 5 KSchG):
(1) Betriebszugehörigkeit (BZ)
Für jedes vollendete Jahr der Betriebszugehörigkeit wird ein Punkt berechnet.
(2) Lebensalter (LA)
Für jedes vollendete Lebensjahr werden 0,75 Punkte bewährt.
(3) Unterhaltspflichtige Kinder (UK)
Je unterhaltsberechtigtes Kind werden vier Punkte vergeben.
(4) Familienstand/Steuerklasse (S)
Je nach Familienstand/Steuerklasse werden Punkte wie folgt vergeben:
Steuerklasse 1 – 4 Punkte
Steuerklasse 2 – 8 Punkte
Steuerklasse 3 – 8 Punkte
Steuerklasse 4 – 4 Punkte
Steuerklasse 5 – 0 Punkte
Pauschale Besteuerung – 0 Punkte
(5) Schwerbehinderung (SB)
Schwerbehinderte Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 50 erhalten für die Schwerbehinderung 8 Punkte.
(6) Stichtag
Bei der Durchführung der Sozialauswahl und der Ermittlung der dafür notwendigen Daten wird als Stichtag der 01.07.2004 zu Grunde gelegt.
… „
Dem Interessenausgleich war als dessen Bestandteil eine Namensliste mit den 37 zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmerinnen, darunter die Klägerin, fest beigeheftet (Bl. 64 GA).
Ebenfalls am 07.09.2004 kam es zum Abschluss eines Sozialplans. Nach dessen § 3 berechnen sich die Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer nach dem Punktsystem, welches der Richtlinie zur Sozialauswahl gemäß § 4 des Interessenausgleichs entspricht. Für die Klägerin errechnete die Beklagte danach eine Sozialplanabfindung in Höhe von 12.347,00 EUR auf der Basis von 52 „Sozialendpunkten”. Sie entnahm für die Ermittlung der sowohl...