Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifpluralität. Tarifeinheit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Bundesangestelltentarifvertrag tritt nicht hinter den TV-L nach dem Grundsatz der Tarifeinheit zurück.

2. Tarifkonkurrenz liegt vor, wenn nach den Normen des Tarifvertragsgesetzes verschiedene Tarifverträge für dasselbe Arbeitsverhältnis gelten sollen. Mehrere Tarifverträge finden nach ihrem zeitlichen, räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich Anwendung und beide Arbeitsvertragsparteien sind an mehrere Tarifverträge tarifgebunden.

3. Die Tarifkonkurrenz ist nach dem Prinzip der Tarifeinheit dahingehend aufzulösen, dass nur der speziellere Tarifvertrag zur Anwendung kommt. Das ist der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird.

4. Tarifpluralität liegt vor, wenn innerhalb eines Betriebs unterschiedliche Tarifverträge normative Geltung in der Weise beanspruchen, dass auf mindestens ein Arbeitsverhältnis des Betriebs die Vorschriften eines Tarifwerks normativ anzuwenden sind, während auf mindestens ein anderes Arbeitsverhältnis die Normen eines anderen Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend wirken.

5. Im Fall gewillkürter Tarifpluralität, also einer Tarifpluralität, die dadurch entstanden ist, dass der Arbeitgeber kraft eigenen Entschlusses mit verschiedenen Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen und so eine Tarifpluralität in seinem Betrieb herbeigeführt hat, gilt der Grundsatz der Tarifeinheit nicht.

 

Normenkette

TVG §§ 3-4; BAT; TV-L; TV Zuwendung

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Urteil vom 11.10.2007; Aktenzeichen 4 Ca 2564/07)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 4 AZR 199/09)

 

Tenor

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.10.2007 – 4 Ca 2564/07 – wird auf Kosten des beklagten Landes zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Anwendbarkeit des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) auf ihr Arbeitsverhältnis und über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer restlichen Zuwendung für das Jahr 2006 nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte (TV Zuwendung) in Höhe von 3.365,68 EUR brutto.

Der am 06.06.1958 geborene Kläger ist Mitglied der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Seit dem 01.04.1991 ist er bei dem beklagten Land als Arzt in dem Justizvollzugskrankenhaus in F2 beschäftigt, seit dem 11.05.1991 als Oberarzt der Inneren Abteilung. § 2 des zwischen den Parteien unter dem Datum vom 12.03.1991 abgeschlossenen Arbeitsvertrages lautet:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung. Außerdem finden die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung.”

Der BAT und der TV Zuwendung (Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12.10.1973) wurden seinerzeit auf der Arbeitnehmerseite von der Gewerkschaft ÖTV/ver.di „zugleich handelnd für Marburger Bund” abgeschlossen. Zugrunde lag eine entsprechende Bevollmächtigung durch den Marburger Bund. Der Marburger Bund hatte in der Vergangenheit der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), die sich später mit der ÖTV zur neu gegründeten Gewerkschaft ver.di zusammenschloss, eine Verhandlungs- und Abschlussvollmacht für die Verhandlungen zum BAT erteilt. Der TV Zuwendung ist von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zum 30.06.2003 gekündigt worden und seitdem von dem beklagten Land zunächst als nachwirkender Tarifvertrag gemäß § 4 Abs. 5 TVG angewandt worden.

Der TV Zuwendung sieht in der Protokollnotiz 1 zu § 2 TV Zuwendung vor, dass der Bemessungssatz für die Zuwendung vom 1.Mai 2004 an 82,14 v. H. beträgt [von der Urlaubsvergütung nach § 47 Abs. 2 BAT, wenn der Angestellte während des ganzen Monats September Urlaub gehabt hätte].

Am 10.09.2005 entzog der Marburger Bund der Gewerkschaft ver.di die Vollmacht, ihn weiterhin in Tarifverhandlungen zu vertreten. Von der Gewerkschaft ver.di wurde der BAT danach gekündigt. Die zwischen dem Marburger Bund und der TdL bestehenden Tarifverträge sind weder von dem Marburger Bund noch von der TdL gekündigt worden. Am 12.10.2006 schlossen die Gewerkschaft ver.di und die TdL den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder ab (TV-L) sowie den Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder).

Nach dem Abschluss dieser Tarifverträge zahlte das beklagte Land dem Kläger eine Vergütung nicht mehr nach dem BAT sondern nach dem TV-L. Im November 2006 erhielt der Kläger eine Jahressonderzahlung in Höhe von 35 % der Bruttovergütung für September 2006, was im Vergleich zu einer Sonderzuwendung nach dem TV Zuwendung (82,14 %) zu einer Differenz in Höhe von 3.365,68 EUR brutto führte. Nachdem de...

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