Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifpluralität. Tarifeinheit. Spezialität

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Tarifpluralität findet der Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb keine Anwendung. Vielmehr gelten für die tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien strikt gemäß § 3 Abs. 1 TVG und § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG die jeweils einschlägigen Tarifverträge.

 

Normenkette

TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Urteil vom 12.08.2009; Aktenzeichen 3 Ca 802 b/09)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 12.08.2009 – Az.: 3 Ca 802 b/09 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe einer der Klägerin für das Jahr 2008 zustehenden tariflichen Zuwendung.

Die 46-jährige Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 01.10.1989 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 02.10.1989 (Bl. 7 d. A.) in der Fassung des Änderungsvertrages vom 21.07.1998 (Bl. 8 d. A.) als Gesundheitsberaterin in der Geschäftsstelle N. mit zurzeit 25 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt. Ihr Monatsgehalt beträgt EUR 2.578,26. Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifwerke des BAT/AOK-Neu Anwendung.

Die Tarifgemeinschaft der AOK e.V. (TG-AOK), der auch die Beklagte angehört, schloss mit der Gewerkschaft ver.di einen Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der TG-AOK (BAT/AOK-Neu) sowie eine Reihe ergänzender Tarifverträge. Dazu gehört auch der Tarifvertrag über eine Zuwendung für die Beschäftigten der Mitglieder der TG-AOK (TV-Zuwendung) vom 01.12.2005 (Bl. 22 – 25 d. A.). Nach der Protokollnotiz zu § 2 Abs. 1 TV-Zuwendung steht einem Beschäftigten eine Zuwendung in Höhe von 95 % der Vergütung zu, die ihm zugestanden hätte, wenn er während des gesamten Monats September Urlaub gehabt hätte.

Die TG-AOK vereinbarte ebenfalls mit der Gewerkschaft der Sozialversicherungen (GdS) einen zum BAT/AOK-Neu inhaltsgleichen Manteltarifvertrag sowie einen zum TV-Zuwendung inhaltsgleichen Zuwendungstarifvertrag.

Daneben vereinbarte die TG-AOK sowohl mit der ver.di bzw. deren Rechtsvorgängern ÖTV und DAG als auch mit der GdS einen Rahmentarifvertrag zur Beschäftigungssicherung (BeST-AOK) vom 01.03.2001 in der jetzt gültigen Fassung vom 07.02.2008 (Bl. 11 – 18 d. A.).

Der BeST-AOK beinhaltet – soweit hier von Belang – folgende Regelungen:

„Präambel

Die Tarifvertragsparteien bekräftigen die Notwendigkeit von Flächentarifverträgen für das AOK-System. Um diese zu erhalten, vereinbaren die Tarifvertragsparteien diesen Rahmentarifvertrag, der es einzelnen AOKs ermöglicht, regional erforderliche Anpassungen der geltenden Manteltarifverträge vorzunehmen, um somit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten und die Arbeitsplätze zu sichern. …

§ 1 Inkraftsetzung

(1) Die Wirkungen dieses Tarifvertrages treten mit Ausnahme der in § 3 Abs. 2

geregelten Fälle nur über eine regionale Anwendungsvereinbarung in Kraft. Wird dieser Rahmentarifvertrag über eine regionale Anwendungsvereinbarung in einer AOK in Kraft gesetzt, können die geltenden Tarifverträge BAT/AOK-Neu, TV Zuwendung AOK, TV Zuwendung AOK-O, TV Zuwendung Azubi sowie TV Zuwendung Azubi-O für die Dauer der Anwendungsvereinbarung in dieser AOK teilweise ersetzt bzw. ergänzt werden.

(2) Die jeweilige Anwendungsvereinbarung wird zwischen den für bezirkliche oder örtliche Tarifverträge zuständigen Tarifvertragsparteien abgeschlossen. Eine solche Anwendungsvereinbarung enthält abschließend die vom BAT/AOK-Neu, TV Zuwendung AOK, TV Zuwendung AOK-O, TV Zuwendung Azubi sowie TV Zuwendung Azubi-O abweichenden bzw. ergänzenden Regelungen und wird als Anlage Bestandteil dieses Rahmentarifvertrages.

Eine Anwendungsvereinbarung lässt die Abweichungen vom BAT/AOK Neu, dem TV Zuwendung AOK, dem TV Zuwendung AOK-O, dem TV Zuwendung Azubi sowie TV Zuwendung Azubi-O für einen Zeitraum von höchstens 36 Monaten auf der Grundlage dieses Rahmentarifvertrages zu. Dabei dürfen Maßnahmen der Verlängerung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nach § 12 maximal 12 Monate Wirkung entfalten.

(3) Fordert ein Tarifpartner den Abschluss einer regionalen Anwendungsvereinbarung, sind entsprechende Verhandlungen unmittelbar aufzunehmen. Während der Dauer dieser Verhandlungen werden von der AOK, für die eine Anwendungsvereinbarung ausgehandelt werden soll, keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen. Erklärt eine Seite das Scheitern der Verhandlungen, sind betriebsbedingte Kündigungen möglich.

§ 12 a Gestaltung der Zuwendung

(1) Durch Anwendungsvereinbarung kann die Zuwendung nach den Tarifverträgen über eine Zuwendung für Beschäftigte und Auszubildende in der jeweils gültigen Fassung für einen zu bestimmenden Zeitraum reduziert werden. Die Reduzierung darf nicht mehr als 45 Prozentpunkte des jeweils maßgeblichen Bemessungssatzes nach den Tarifverträgen über eine Zuwendung betragen. Die Berücksichtigung einer sozia...

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