Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines im Berufungsverfahren geschlossenen Vergleichs wegen arglistiger Täuschungwegen internen oder verdeckten Kalkulationsirrtums, wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Aufhebung des Vergleichs wegen Rechtsmissbrauchs. Fehlen der Geschäftsgrundlage. Wirksamkeit der Anfechtung eines im Berufungsverfahren abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs. Anfechtungsgründe
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Vergleichsvorschlag des Gerichts kann schon deshalb keine nach § 123 Abs. 1 BGB anfechtbare Handlung darstellen, weil der Vorsitzende und die Kammermitglieder weder Verhandlungsführer noch -gehilfen der Prozessparteien sind.
2. Arglistige Täuschung durch die gegnerische Prozesspartei setzt entweder aktives Tun oder Unterlassen voraus; Letzteres nur, sofern eine Aufklärungspflicht besteht.
3. Eine Anfechtbarkeit nach § 119 Abs. 1 BGB scheitert daran, dass weder ein interner oder verdeckter Kalkulationsirrtum, noch ein offener Kalkulationsirrtum ein Anfechtungsrecht begründen.
Normenkette
BGB §§ 119, 123, 313, 119 Abs. 1, § 123 Abs. 1, § 142 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Münster (Entscheidung vom 10.05.2012; Aktenzeichen 4 Ca 919/11) |
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch den gerichtlichen Vergleich vom 10.05.2012 beendet worden ist.
Die weiteren durch die Anfechtung des Vergleichs entstandenen Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die wirksame Anfechtung eines im Berufungsverfahren abgeschlossenen gerichtlichen Vergleichs.
Der 1950 geborene Kläger ist seit August 2005 bei der Beklagten als Industriemechaniker/Schlosser beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zuletzt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 28.10.2008, der u.a. darauf hinweist, dass die Beklagte nicht tarifgebunden ist, dass gleichwohl eine freiwillige Anlehnung an den Tarifvertrag für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NW erfolge. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden sieht der Arbeitsvertrag als Vergütung vor "Tarifgehalt K/T 4/3 2.276,00 Euro" zuzüglich Zulage und Prämie, mithin ein Gesamtentgelt von 2.550,00 Euro brutto. Der unter K/T 4/3 ausgewiesene Betrag entsprach nicht dem seinerzeit in dem Tarifvertrag zu der dortigen Lohngruppe 4/3 genannten Betrag. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 4 - 6 d.A.) verwiesen.
Im November 2010 legte die Beklagte dem Kläger einen Änderungsarbeitsvertrag vor (Bl. 7 - 10 d.A.), durch den eine Veränderung des Entgeltsystems herbeigeführt werden sollte, der seitens des Klägers indes nicht unterzeichnet wurde.
Mit seiner am 25.05.2011 eingereichten Zahlungsklage hat der Kläger Ansprüche auf Differenzentgelt für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2011 geltend gemacht.
Mit Urteil vom 07.10.2011 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben mit der wesentlichen Begründung, die geltend gemachten Ansprüche stünden dem Kläger zu aus § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag. In diesem hätten die Parteien - dies ergebe die Auslegung - eine Vergütung entsprechend des Entgelttarifvertrages für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NW unter Eingruppierung in die K/T 4/3 vereinbart.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 28.10.2011 zugestellte Urteil am 16.11.2011 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.01.2012 mit am 30.01.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
In ihrer Berufungsbegründung hat die Beklagte u.a. vorgetragen, sie habe mit dem Kläger hinsichtlich der Höhe der Vergütung in § 7 des Arbeitsvertrages eine ausdrückliche, spezielle Regelung getroffen. § 1 des Arbeitsvertrages sei klar zu entnehmen, dass der Tarifvertrag der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NW nur insoweit Anwendung finden solle, als keine spezielleren Regelungen im Arbeitsvertrag, gültigen Betriebsvereinbarungen und der Arbeits- und Betriebsordnung existierten. Insoweit sei der Wortlaut des Arbeitsvertrages in § 7, was die Höhe der Vergütung angehe, durch die Nennung des Betrags 2.550,00 Euro klar formuliert und nicht auslegungsfähig. Damit hätten die Parteien die Vergütungshöhe selbst definiert und näher konkretisiert im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (5 AZR 633/09).
Die Beklagte hat beantragt:
1.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 17.10.2011, Az. 4 Ca 919/11, wird geändert.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Berufung zurückzuweisen;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 11.443,56 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.513,81 Euro seit dem 01.11.2011, aus 2.360,70 Euro seit dem 01.12.2011 und aus je 1.513,81 Euro seit dem 01.01.2012, dem 01.02.2012, dem 01.03.2012, dem 01.04.2012 und dem 01.05.2012 zu zahlen.
Er hat im Wesentlichen vorgetragen, die Auslegung seines Arbeitsvertrages ergebe, dass er Anspruch auf ...