Entscheidungsstichwort (Thema)

Abschluss einer Betriebsvereinbarung unter Verstoß gegen § 77 Abs. 3 und § 87 BetrVG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Durch diese Vorschrift soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gewährleistet werden, indem den Tarifvertragsparteien Vorrang bei der Regelung der Arbeitsbedingungen eingeräumt wird. Dieses Recht darf nicht dadurch beseitigt oder ausgehöhlt werden, dass Arbeitgeber und Betriebsrat abweichende oder auch nur ergänzende Regelungen vereinbaren. Vielmehr soll diesen im Interesse der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie grundsätzlich die Möglichkeit genommen werden, die Arbeitsbedingungen auf betrieblicher Ebene normativ zu regeln.

2. Die Sperre des § 77 Abs. 3 BetrVG greift nicht ein, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebrats unterliegen. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG begründet keine Annexkompetenz des Betriebsrats für die Vergütung von Überstunden sowie von zusätzlichen oder von ausgefallenen Schichten.

 

Normenkette

BetrVG §§ 77, 87

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Urteil vom 18.01.2007; Aktenzeichen 1 (2) Ca 1470/06)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 18.01.2007 – 1 (2) Ca 1470/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 120 Stunden gutzuschreiben.

Der am 28.10.1962 geborene Kläger ist als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Er erhielt zuletzt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden eine monatliche Vergütung von 1.860,67 EUR brutto. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Die Beklagte, die bis zum 31.12.2005 tarifgebundenes Mitglied des Arbeitgeberverbandes für die Gebiete Paderborn, Büren, Warburg und Höxter e.V. war, hat mit Wirkung zum 01.01.2006 eine sogenannte OT-Mitgliedschaft in diesem Verband begründet.

Mit Datum vom 27.12.2005 schloss die Beklagte mit dem bei ihr gewählten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung. Nach Ziffer 1 dieser Betriebsvereinbarung hatten alle Mitarbeiter der Beklagten – ausgenommen die Auszubildenden, befristet Beschäftigten, Schwerbehinderten mit einem Behinderungsgrad von mehr als 50 und Schwangere sowie geringfügig Beschäftigte (400-Euro-Kräfte) sowie Teilzeitkräfte – entsprechend anteilig ihrer Arbeitszeit der Beklagten ab dem 01.11.2006 einmalig für das Kalenderjahr 2006 auf dem persönlichen Flexikonto ein Volumen von 120 Arbeitsstunden zur Verfügung zu stellen, ohne dass sich hieraus für die Mitarbeiter ein unmittelbarer Vergütungsanspruch ergab. Diese Stunden wurden als Minusstunden auf dem Flexikonto verbucht. Gemäß Ziffer 2 der Betriebsvereinbarung mussten die Beschäftigten 120 Plusstunden ableisten, um diese Minusstunden auszugleichen. Nach Ziffer 5 der Betriebsvereinbarung soll eine Vergütung dieser Stunden mit dem Vorliegen einer Gewinnsituation im sogenannten SF-20-Bereich frühestens mit dem Ablauf des Geschäftsjahres 2007 und maximal bis zum Geschäftsjahresende 2008 erfolgen, wobei der Ausgleich durch Zeit oder aktuellem Geldwert erfolgen soll. Wegen der weiteren Einzelheiten der Betriebsvereinbarung vom 27.12.2005 wird auf Bl. 13 f. d.A. verwiesen.

Mit vorliegender Klage, die am 31.10.2006 beim Arbeitsgericht Paderborn einging, wendet der Kläger sich gegen diese Maßnahme. Zur Begründung hat er vorgetragen, die in der Betriebsvereinbarung vom 27.12.2005 getroffene Regelung sei betriebsverfassungswidrig und damit rechtsunwirksam. Die Beklagte sei daher verpflichtet, seinem Arbeitszeitkonto die abgezogenen 120 Stunden wieder gutzuschreiben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, seinem Arbeitszeitkonto 120 Stunden gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 27.12.2005 seien nicht ersichtlich. Insbesondere verstoße die Betriebsvereinbarung nicht gegen die Regelungssperre des § 87 Abs. 1 i.V.m. § 77 Abs. 3 BetrVG. Sie, die Beklagte, sei seit dem 01.01.2006 nicht mehr tarifgebunden. Vor diesem Hintergrund seien die Regelungen der Betriebsvereinbarung vom 27.12.2005 als wirksam anzusehen. Die Betriebsvereinbarung habe für das Jahr 2006 zu einer vorübergehenden Verlängerung des betriebsüblichen Arbeitszeitvolumens geführt. Eine solche vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit sei, da sie nicht von Dauer sei, aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 87 Abs. 1 BetrVG ohne weiteres denkbar. Gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG seien Betriebsvereinbarungen in der Lage, unmittelbar gegenseitige Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien zu begründen, soweit auf diese Weise nicht zu Lasten der Arbeitnehmer in eine gesichert...

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