Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Erschütterung der Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. außerordentliche Kündigung wegen Vortäuschung einer Erkrankung
Leitsatz (amtlich)
Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist erschüttert, wenn ein Arbeitnehmer nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber den Betrieb verlässt und in den folgenden zwei Monaten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von fünf Ärzten dem Arbeitgeber vorlegt, die er zeitlich lückenlos nacheinander konsultiert hat, jeweils wegen anderer Beschwerden.
Die bewusste Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung ist eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitsvertrags und an sich geeignet, als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB herangezogen zu werden. Eine vorherige Abmahnung ist entbehrlich.
Normenkette
EntgFG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 2; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 12.03.2003; Aktenzeichen 4 Ca 1185/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 12.03.2003 – 4 Ca 1185/02 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.460,83 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über den Basissatz seit dem 21.10.2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Klägerin zu 93 % und der Beklagten zu 7 % auferlegt.
Die Kosten des ersten Rechtzuges werden der Klägerin zu 81 % und der Beklagten zu 19 % auferlegt.
Die Revision wird für keine der Parteien zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall und über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin wurde auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 11.11.2001 ab dem 11.11.2001 als Projektleiterin bei der Beklagten gegen ein Jahresgehalt in Höhe von 78.000,– DM = 6.500,– DM brutto monatlich beschäftigt, wobei die ersten sechs Monate des Arbeitsvertrags als Probezeit galten.
Mit Schreiben vom 15.04.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht innerhalb der Probezeit zum 30.04.2002.
Unter dem 15.04.2002 vereinbarten die Parteien erneut einen Anstellungsvertrag, wonach die Klägerin als Projektleiterin gegen ein festes Jahresgehalt in Höhe von 36.813,02 EUR = 3.067,75 EUR brutto monatlich, beginnend ab dem 01.05.2002 in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten trat und die ersten drei Monate des Arbeitsvertrags als Probezeit galten.
Mit Schreiben vom 14.05.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 29.05.2002.
Nachdem die Klägerin hiergegen unter dem 24.05.2002 Kündigungsschutzklage erhoben hatte, nahm die Beklagte nach dem Gütetermin vom 05.07.2002 die Kündigung zurück und forderte die Klägerin zur Arbeitsleistung auf.
Die Klägerin legte beginnend mit dem 08.07.2002 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wie folgt vor:
Dr. S3xxxxx
Arztbesuch v. 08.07.02 |
Erstbescheinigung |
für die Zeit v. 08.07. bis 12.07.02 |
Arztbesuch v. 15.07.02 |
Folgebescheinigung |
bis 19.07.02 |
Arztbesuch v. 22.07.02 |
Folgebescheinigung |
bis 29.07.02 |
Arztbesuch v. 29.07.02 |
Folgebescheinigung |
bis 02.08.02 |
Dr. H2xxxxx – Internist
Arztbesuch v. 05.08.02 |
Folgebescheinigung |
bis 09.08.02 |
Dr. P1xxx – Arzt für Innere Medizin
Arztbesuch v. 12.08.02 |
Folgebescheinigung |
bis 16.08.02 |
Am 19.08.2002 erschien die Klägerin zur Arbeitsaufnahme in den Räumlichkeiten der Beklagten, die sie nach einer Auseinandersetzung gegen 8.45 Uhr wieder verließ.
Ab dem 21.08.2002 suchte die Klägerin folgende Ärzte auf, die folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten bescheinigten:
Dr. K2xxxx – Praktischer Arzt
Arztbesuch v. 21.08.02 |
Erstbescheinigung |
für die Zeit v. 21.08. bis 23.08.02 |
Arztbesuch v. 26.08.02 |
Folgebescheinigung |
bis 30.08.02 |
D1. B2xxx – Zahnarzt
Arztbesuch v. 02.09.02 |
Erstbescheinigung |
für die Zeit v. 02.09. bis 06.09.02 |
U. K3xxxx – Facharzt für Orthopädie
Arztbesuch v. 10.09.02 |
Erstbescheinigung |
für die Zeit v. 09.09. bis 11.09.02 |
Arztbesuch v. 12.09.02 |
Folgebescheinigung |
bis 13.09.02 |
Dr. F2xxxxxxxx – Facharzt für Orthopädie
Arztbesuch v. 17.09.02 |
Erstbescheinigung |
für die Zeit v. 16.09. bis 20.09.02 |
Arztbesuch v. 23.09.02 |
Folgebescheinigung |
bis 27.09.02 |
Arztbesuch v. 30.09.02 |
Folgebescheinigung |
bis 04.10.02 |
Arztbesuch v. 07.10.02 |
Folgebescheinigung |
bis 11.10.02 |
Dr. N2xxx – Praktischer Arzt
Arztbesuch v. 14.10.02 |
Erstbescheinigung |
für die Zeit v. 14.10. bis 18.10.02 |
Die Klägerin, die sich nur einmal im Zusammenhang mit der ersten Arbeitsunfähigkeit im August 2002 telefonisch mit der Beklagten in Verbindung gesetzt hatte, schickte im Übrigen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen per Post an die Arbeitgeberin, wo sie wie folgt eingingen:
Arzt |
Arbeitsunfähigkeit |
Eingang am |
|
vom |
|
|
|
|
Dr. S3xxxxx |
08.07.02 |
10.07.02 |
Dr. S3xxxxx |
15.07.02 |
16.07.02 |
Dr. S3xxxxx |
22.07.02 |
23.07.02 |
Dr. S3xxxxx |
29.07.02 |
01.08.02 |
Dr. H3xxxxxx |
05.08.02 |
06.08.02 |
Dr. P1xxx |
12.08.02 |
13.08.02 |
Dr. K2xxxx |
21.08.02 |
10.09.02 |
D... |