Entscheidungsstichwort (Thema)
Abhängigkeit des Zusatzurlaubs vom gesetzlichen Urlaub. Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs. Keine Anwendung des § 366 Abs. 2 BGB auf Zusatzurlaub mangels eigenständigem Urlaubsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Zusatzurlaub gemäß § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist akzessorisch, steht und fällt mit dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch und wird im Anschluss aus diesem gewährt. Ein Rückgriff auf § 366 Abs. 2 BGB scheidet im Falle des Zusatzurlaubs aus, denn der Anspruch auf Zusatzurlaub stellt keine "selbständige Forderung" i.S. d. dieser Vorschrift dar.
Normenkette
SGB IX § 208 Abs. 1 S. 1; BGB § 366 Abs. 2; ArbGG § 64 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 25.08.2020; Aktenzeichen 5 Ca 3025/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 25. August 2020 - 5 Ca 3025/19 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung in der Hauptsache insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung für das Jahr 2016.
Der 1959 geborene Kläger war in der Zeit vom 1. August 1976 bis zum Ablauf des 30. Juni 2017 bei der Beklagten zuletzt als stellvertretender Regionalgeschäftsführer am Standort A beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt betrug 7.023,00 EUR. Der Kläger ist anerkannt schwerbehindert. Im Rahmen im Arbeitsverhältnis geltender Vorruhestandsregelungen war der Kläger seit dem 1. Juli 2017 unter Zahlung eines Ruhegeldes freigestellt.
Die Beklagte ist eine Krankenkasse aus der Gruppe der Ersatzkassen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund Gewerkschaftsmitgliedschaft des Klägers normativ unter anderem der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der BARMER (nachfolgend: MTV) Anwendung. Dieser lautet in der vorliegend einschlägigen Fassung auszugweise wie folgt:
"3.1 Urlaub
(1) Beschäftigte erhalten in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage Urlaub unter Weiterzahlung der Gehaltsbezüge. Im Hinblick auf ein erhöhtes Erholungsbedürfnis beträgt der Anspruch ab Vollendung des 40. Lebensjahres 32 Urlaubstage im Kalenderjahr. [...]
[...]
3.2 Zusatzurlaub
(1) Schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX haben Anspruch auf einen gesetzlichen Zusatzurlaub von 5 Arbeitstagen.
[...]
3.3 Besondere Urlaubsbestimmungen
(1) Urlaub, der nicht spätestens drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres genommen wird, verfällt ohne Anspruch auf Geldentschädigung, es sei denn, er wurde erfolglos schriftlich geltend gemacht.
[...]
(3) Konnte der Urlaub wegen Arbeitsunfähigkeit nicht bis zum Ende des Urlaubsjahres genommen werden, so ist er auf das folgende Kalenderjahr zu übertragen und nach Fortfall der Hinderungsgründe unverzüglich zu nehmen. Der Anspruch auf Urlaub, der nicht bis zum 30.6. des Jahres, in das der Urlaub übertragen wurde, abgewickelt ist, verfällt, soweit es sich nicht um den gesetzlichen Urlaubsanspruch handelt. [...]
[...]
3.4 Urlaubsabgeltung
Der Urlaubsanspruch kann abgegolten werden, wenn der/dem Beschäftigten der noch zustehende Urlaub nicht mehr vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder vor dem Beginn der Beurlaubung gemäß den Nrn. 5.1 und 5.2 gewährt werden kann. Für jeden Urlaubstag wird 1/22 des letzten Monatsgehalts gezahlt."
Im Kalenderjahr 2016 wurden dem Kläger 26 Tage Urlaub gewährt. Die Beklagte bestimmte im Rahmen der Gewährung des Urlaubs nicht, ob und inwieweit es sich hierbei um gesetzlichen Mindesturlaub, Zusatzurlaub für Schwerbehinderte oder tarifvertraglichen Mehrurlaub im Übrigen handelte. Im Zeitraum vom 8. September 2016 bis zum Ausscheiden mit Ablauf des 30. Juni 2017 war der Kläger infolge Krankheit durchgehend arbeitsunfähig. Im Kalenderjahr 2017 wurde dem Kläger dementsprechend kein Urlaub gewährt.
Mit Schreiben seiner späteren Prozessbevollmächtigten vom 14. August 2017 forderte der Kläger die Beklagte auf, für das Kalenderjahr 2016 elf Urlaubstage und für das Kalenderjahr 2017 19 Urlaubstage abzugelten. Die Beklagte lehnte Ansprüche betreffend das Kalenderjahr 2016 mit Schreiben vom 21. August 2017 unter Verweis auf einen erfolgten Verfall ab und galt im Übrigen für das Kalenderjahr 2017 13 Urlaubstage mit einem Betrag in Höhe von insgesamt 4.149,95 EUR brutto ab.
Mit der beim Arbeitsgericht Bielefeld am 23. Dezember 2019 eingegangenen Klage hat der Kläger eine Urlaubsabgeltung unter anderem für das Kalenderjahr 2016 geltend gemacht.
Der Kläger ist insoweit der Auffassung gewesen, für das Kalenderjahr 2016 seien noch elf nicht verfallene Urlaubstage abzugelten. Mangels näherer Bestimmung durch die Beklagte gelte gemäß der Regelung in § 366 Abs. 2 BGB der tarifvertragliche Mehrurlaub als vorrangig erfüllt, weil dieser verfallbar sei und damit für den Kläger weniger Sicherheit biete. Mithin verblieben nach der Gewährung von 26 Urlaubstagen elf nicht verfallene Tage des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs.
Der Kläger hat - unter anderem und ...