Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung des Arbeitgebers an betriebsintern aufgestellte Kriterien für die Versetzung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern
Leitsatz (redaktionell)
1. Haben sich die Betriebsparteien auf Kriterien für die Entscheidung über die Versetzung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern geeinigt, so ist der Arbeitgeber bei der Ausübung des allein ihm zustehenden Auswahlermessens hieran gebunden.
2. Haben die Betriebsparteien sich darauf geeinigt, dass Arbeitnehmer, die keinen Führerschein haben, grundsätzlich nicht versetzt werden sollen, so fallen hierunter auch Arbeitnehmer, die aufgrund ärztlicher Bescheinigung kein Fahrzeug bei Dämmerung und Dunkelheit führen dürfen.
Normenkette
GewO § 106 S. 1; BGB § 315 Abs. 3; BetrVG § 95 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 23.09.2015; Aktenzeichen 5 Ca 715/15) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 23.09.2015 - 5 Ca 715/15 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Versetzung.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferungsbranche. Sie unterhält u.a. ein Werk 1 in S und ein Werk 2 in C.
Die 1962 geborene, verheiratete Klägerin, die einen Grad der Behinderung von 30 aufweist, trat auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 07.01.1998 (Bl. 19 d. A.) mit Wirkung ab 06.01.1998 als Montiererin in die Dienste der Beklagten. Sie übte ihre Tätigkeit in der Vergangenheit ausschließlich im Werk 1 in S aus.
Unter dem 15.01.2014 schloss der dortige Betriebsrat mit der Werkleitung eine Betriebsvereinbarung "Versetzungs-, Altersteilzeit- und Abfindungsprogramm 2014" (im Folgenden kurz: BV) ab. Darin finden sich u.a. folgende Regelungen:
II. Versetzungsprogramm
Die Betriebsparteien streben gemeinsam an, auf der Grundlage des nachfolgend dargestellten Versetzungsprogramms mindestens 35 Versetzungen vom Werk 1 (S) in das Werk 2 (C) durchzuführen. Die Versetzungen sollen möglichst im Einvernehmen mit den betroffenen Mitarbeitern bis zum 28.02.2014 umgesetzt werden. Sollte dieses gemeinsame Ziel nicht erreicht werden, kann der Arbeitgeber im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen einseitig Versetzungen in das Werk 2 durchführen. Dabei zu beachtende, gesetzliche Bestimmungen bleiben unberührt.
Der Betriebsrat erkennt die Notwendigkeit von mindestens 35 Versetzungen von Mitarbeitern in das Werk 2 an, trägt auf dieser Basis die Versetzungen zur Vermeidung von Kündigungen mit und wird die Versetzungen im Rahmen der mitbestimmungsrelevanten Maßnahmen unterstützen.
1.) ...
2.) Auswahl
Die Personalabteilungen der Werke 2 und 1 werden sich wöchentlich über die im Werk 2 vakanten Arbeitsplätze (einschließlich der mit Leiharbeitnehmern besetzten Stellen) einerseits sowie für eine Versetzung in Frage kommende Beschäftigte im Werk 1 mit passender Qualifikation andererseits austauschen. Beschäftigten im Werk 1 mit passenden Qualifikationsprofilen werden die vakanten Positionen im Werk 2 angeboten. Bei der Auswahl der für die Versetzungen vorgesehenen Beschäftigten sind insbesondere die Entfernung zwischen dem Wohnort zu der Betriebsstätte Werk 2 in C heranzuziehen und es sind besondere persönliche Verhältnisse im Einzelfall (familiäre Situation, Alter, körperliche Einschränkungen, Schwerbehinderung etc.) in angemessener Weise zu berücksichtigen. Der Betriebsrat wird in die Auswahl proaktiv mit eingebunden und trägt die Auswahlentscheidung mit. Die Auswahl der betroffenen Beschäftigten wird gemeinsam mit dem Betriebsrat bis zum 28.02.2014 abgeschlossen, kommuniziert und es werden alle formellen Voraussetzungen für die Versetzungen geschaffen.
Im Zuge der mit der Klägerin am 02. und 19.02.2014 geführten Gespräche über eine mögliche Versetzung legte diese der Beklagten einen Augenärztlichen Befundbericht des Arztes Dr. C1 vom 19.02.2014 vor, der zu folgender "Beurteilung" kommt:
Bei Frau G besteht ein Zustand nach refraktiv-chirurgischer Behandlung mit IOL-Implantation (intraoculare Linse) beidseits wegen hoher Kurzsichtigkeit. Die Patientin sieht in der Dämmerung und Dunkelheit beim Autofahren nicht ausreichend, insbesondere bei Blendung durch andere Verkehrsteilnehmer. Diese Beschwerden sind glaubhaft. Aus augenärztlicher Sicht darf die Patientin in der Dämmerung und Dunkelheit kein Fahrzeug führen.
Mit Schreiben vom 18.12.2014 (Bl. 91 d. A.) machte die Beklagte dem Betriebsrat des Werkes 1 in S abschließend Mitteilung von der geplanten Versetzung der Klägerin mit Wirkung ab Anfang Februar 2015.
Sodann sprach die Beklagte mit Schreiben vom 12.01.2015 (Bl. 33 d. A.) die Versetzung der Klägerin nach C zum 01.02.2015 aus.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass arbeitsvertraglich S als konkreter Einsatzort vereinbart worden sei. Auf von der Beklagten aufgestellte "Beschäftigungsbestimmungen" (Bl. 20 ff. d. A.) werde an keiner Stelle in den schriftlichen Vereinbarungen Bezug genomm...