Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortfall des Annahmeverzugs im Fall einer aus formalen Gründen für unwirksam befundenen Kündigung bei schwerwiegenden fortgesetzt begangenen Vermögensstraftaten zu Lasten des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Im Fall einer fristlosen Kündigung, die rechtskräftig aus formalen Gründen für unwirksam befunden wurde, gerät der Arbeitgeber im Regelfall in Annahmeverzug, es sei denn, dass in einem Extremfall die Weiterbeschäftigung und Lohnzahlung unzumutbar ist. Ein Extremfall ist nicht nur dann anzunehmen, wenn Rechtsgüter wie Leib, Leben oder Persönlichkeitsrecht bedroht sind (BAG, GS, Beschluss vom 26.04.1956, 1/56; AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG). Ein Extremfall kann auch bei fortgesetzten schwerwiegenden Vermögensdelikten zu Lasten des Arbeitgebers vorliegen, wenn die Taten aufgrund der Umstände im Einzelfall besonders schwer wiegen. Das ist dann anzunehmen, wenn Vermögensstraftaten fortgesetzt und unter Ausnutzung der Position des Arbeitnehmers begangen werden und Anhaltspunkte für eine hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten aus dem Verhalten des Arbeitnehmers erkennbar sind.
Normenkette
BGB § 615
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Urteil vom 26.01.2011; Aktenzeichen 4 Ca 2664/07) |
Nachgehend
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.01.2011 – Az: 4 Ca 2664/07 – wird zurückgewiesen.
2) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3) Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Lohnansprüche des Klägers für die Monate Juni 2007 bis Oktober 2008.
Der am 31.05.1950 geborene Kläger ist ledig. Er war seit dem 01.04.1977 als kaufmännischer Mitarbeiter zur Unterstützung der Geschäftsleitung bei der Beklagten beschäftigt. Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses war ein Anstellungsvertrag vom 03.02.1977. Nach Ziffer II.1 des Anstellungsvertrages sollte der Kläger bei Eignung zu gegebener Zeit das Aufgabengebiet des damaligen Prokuristen N1 übernehmen. Ihm wurde mit Wirkung vom 24.07.1981 Prokura erteilt, die bis zu deren Entzug am 07.06.2006 bestand.
Zuletzt war der Kläger tätig als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal. Seine Vergütung belief sich am Ende der aktiven Tätigkeit auf 7.951,00 EUR brutto.
Die Beklagte stellt gewerbsmäßig Transportgeräte her. Bei ihr sind ca. 55 Arbeitnehmer beschäftigt. Es besteht ein Betriebsrat.
Im Jahr 2003 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger einen Betrag in Höhe von mindestens 280.568,95 EUR brutto aus ihrem Vermögen an sich genommen hatte. Der Kläger gestand die Taten ein, er gab diesbezüglich am 04.03.2003 ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Nach Ziffer II. des notariellen Vertrages war die Beklagte berechtigt, den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des Klägers einzubehalten und mit Schadensersatzforderungen zu verrechnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des notariellen Vertrages wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 51 ff d.A.) verwiesen.
Aufgrund des Eingeständnisses der Taten seitens des Klägers und bekundeter Reue wurde der Kläger in der Folgezeit weiterbeschäftigt.
Der Kläger verfügte über umfassende Kontovollmacht. Die Beklagte ließ sich ab dem Jahr 2003 den Großteil der vom Kläger gefertigten Überweisungen vorlegen. Das betraf nicht Spesenabrechnungen über kleinere Beträge.
Der Beklagten wurde am 05.04.2007 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Sparkasse H1 über 48.900,00 EUR zugestellt. Daraufhin führte die Beklagte am 20.04.2007 ein Gespräch mit dem Kläger über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Nachdem der Kläger ein entsprechendes Angebot abgelehnt hatte, stellte die Beklagte den Kläger von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei.
Ende April 2007 stellte eine Mitarbeiterin der Buchhaltung fest, dass auf dem Lohn- und Gehaltskonto für die Jahre 2005 und 2006 Differenzen bestanden und für Sammelüberweisungen über Spesenauszahlungen Originalbelege fehlten.
So hatte der Kläger unter dem 20.12.2006 eine Sammelüberweisung über einen Betrag in Höhe von 1.766,00 EUR durchgeführt. Ein Betrag in Höhe von 1.488,00 EUR betraf eine Spesenzahlung an den Mitarbeiter L1 und ein weiterer Betrag in Höhe von 288,00 EUR eine Spesenzahlung an den Mitarbeiter W1. Eine Nachfrage bei der Postbank ergab, dass der Betrag in Höhe von 1.488,00 EUR auf dem Konto des Klägers gutgeschrieben worden war.
Am 14.02.2007 hatte der Kläger eine Sammelüberweisung über einen Betrag in Höhe von 2.409,00 EUR über das Konto der Beklagten bei der D2 Bank durchgeführt. Nach dem Ausgabeprotokoll handelte es sich um drei Überweisungen von Spesenzahlungen, und zwar eine Spesenzahlung über 234,00 EUR sowie eine weitere Spesenzahlung in Höhe von 1.675,00 EUR an den Mitarbeiter L1 und schließlich eine Nachzahlung in Höhe von 500,00 an den Mitarbeiter W1. Nachforschungen bei der D2 Bank ergaben, dass der Betrag in Höhe von 1.675,00 EUR nicht dem Konto des Mitarbeiters L1, sondern dem Konto des Klägers gutgeschrieben wurde.
Daraufhin hörte...