Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage. Bestand des Arbeitsverhältnisses. Beginn der Zweiwochenfrist des § 626 II BGB bei strafgerichtlicher Verurteilung

 

Leitsatz (amtlich)

I. Auswirkungen einer rechtskräftigen Entscheidung über eine Kündigung auf eine vorgreifliche Kündigung über die noch nicht rechtskräftig entschieden war:

Bei rechtskräftiger Entscheidung über eine Kündigung zugunsten des Arbeitnehmers steht regelmäßig fest, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung und zum Endtermin ein Arbeitsverhältnis bestand. Der Berufung gegen ein Urteil betreffend eine vorgreifliche Kündigung ist grundsätzlich der Boden entzogen (BAG, Beschluss vom 26.06.2008, 6 AZN 648/07, NZA 2008, S. 1145).

Ausnahmsweise ist eine vorgreifliche Kündigung vom Streitgegenstand des nachfolgenden Kündigungsschutzverfahrens ausgenommen, wenn dies in der Entscheidung über die nachfolgende Kündigung zum Ausdruck kommt. Dies kann sich auch aus dem Tatbestand des Urteils ergeben und ist dann anzunehmen, wenn eine vorgreifliche Einzelkündigung mit Angabe des Kündigungsdatums, Angabe Kündigungsgrundes und des wesentlichen Inhalts der Entscheidung ausdrücklich im Tatbestand angeführt wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn dieselbe Kammer über beide Kündigungen entscheidet und dies in dem Bewusstsein geschieht, dass ein Rechtsmittel gegen die vorgreifliche Kündigung eingelegt werden wird und soll.

II. Die Zweiwochenfrist des § 626 II BGB beginnt im Fall des zulässigen Abwartens des Ausgangs eines Strafverfahrens mit der Kenntnisnahme von einer Verurteilung durch den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kann trotz Kenntnisnahme von einer Verurteilung des Arbeitnehmers noch die Übersendung des Protokolls der Sitzung und des Strafurteils abwarten, wenn er bei verständiger Sicht aus besonderem Anlass davon ausgehen konnte, zur sachgerechten Einleitung des Anhörungsverfahrens beim Betriebsrat und dessen Information auf die schriftlichen Urteilsgründe angewiesen zu sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Unterlagen des Strafverfahrens gerade zum Zweck der Information des Betriebsrates unverzüglich angefordert und dem Betriebsrat im Rahmen des Anhörungsverfahrens vorgelegt werden. Dann beginnt die Frist des § 626 II BGB mit Erhalt des Protokolls und des Strafurteils.

 

Normenkette

KSchG § 4; BGB § 626 II

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Aktenzeichen 4 Ca 3359/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.11.2012; Aktenzeichen 2 AZR 732/11)

 

Tenor

1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld Az.: 4 Ca 3359/09 wird zurückgewiesen.

2) Auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld – 4 Ca 3359/09 – abgeändert:

Die Feststellungsklage des Klägers wird abgewiesen.

3) Die Kosten des Rechtsstreits insgesamt trägt der Kläger.

4) Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Kündigung und Lohnansprüche des Klägers für die Zeit von Oktober 2009 bis Dezember 2009.

Der am 31.05.1950 geborene Kläger ist ledig. Er war seit dem 01.04.1977 als kaufmännischer Mitarbeiter zur Unterstützung der Geschäftsleitung bei der Beklagten beschäftigt. Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses war ein Anstellungsvertrag vom 03.02.1977. Nach Ziffer II.1 des Anstellungsvertrages sollte der Kläger bei Eignung zu gegebener Zeit das Aufgabengebiet des damaligen Prokuristen N1 übernehmen. Ihm wurde mit Wirkung vom 24.07.1981 Prokura erteilt, die bis zu deren Entzug am 07.06.2006 bestand.

Zuletzt war der Kläger tätig als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal. Seine Vergütung belief sich am Ende der aktiven Tätigkeit auf 7.951,00 EUR brutto.

Die Beklagte stellt gewerbsmäßig Transportgeräte her. Bei ihr sind ca. 55 Arbeitnehmer beschäftigt. Es besteht ein Betriebsrat.

Im Jahr 2003 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger einen Betrag in Höhe von mindestens 280.568,95 EUR brutto aus ihrem Vermögen an sich genommen hatte. Der Kläger gestand die Taten ein, er gab diesbezüglich am 04.03.2003 ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Nach Ziffer II. des notariellen Vertrages war die Beklagte berechtigt, den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des Klägers einzubehalten und mit Schadensersatzforderungen zu verrechnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des notariellen Vertrages wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 74 ff d.A., Anlage B 5) verwiesen.

Aufgrund des Eingeständnisses der Taten seitens des Klägers und bekundeter Reue wurde der Kläger in der Folgezeit weiterbeschäftigt.

Der Kläger verfügte über umfassende Kontovollmacht. Die Beklagte ließ sich ab dem Jahr 2003 den Großteil der vom Kläger gefertigten Überweisungen vorlegen. Das betraf nicht Spesenabrechnungen über kleinere Beträge.

Der Beklagten wurde am 05.04.2007 ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Sparkasse H1 über 48.900,00 EUR zugestellt. Daraufhin führte die Beklagte am 20.04.2007 ein Gespräch mit dem Kläger über den Abschluss eines Aufhebungsvertr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?