Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. Aufhebungsvertrag. betriebsbedingte Kündigung. Bezugnahmeklausel. betriebliche Übung. einfache Differenzierungsklausel. Gleichheitssatz. negative Koalitionsfreiheit. Regelungslücke. Tarifbindung. Tarifsozialplan. Sanierungstarifvertrag. Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit durch Gewährung höherer und/oder zusätzlicher Abfindungsansprüche an Gewerkschaftsmitglieder. Auslegung eines Sanierungstarifvertrages hinsichtlich der Erstattung von Sanierungsbeiträgen im Falle betriebsbedingter Kündigungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung eines Sanierungstarifvertrages, dass während seiner Laufzeit nur bei einem Ausscheiden durch betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer sein Sanierungsbeitrag (unbezahlte Mehrarbeit, Lohnverzicht) erstattet wird, enthält hinsichtlich der Arbeitnehmer, die auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer ansonsten notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung einen Aufhebungsvertrag abschließen, in der Regel keine unbewusste Regelungslücke. Sie kann zudem im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein.
2. Einfache Differenzierungsklauseln in einem Tarifsozialplan, die zusätzliche Leistungen nur für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen, sind grundsätzlich zulässig. Sie können aber aufgrund des wirtschaftlichen Umfangs der gewährten Vorteile eine unzulässige Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit darstellen. In diesem Fall ist die Leistung nicht oder anders organisierten Arbeitnehmern schon aufgrund des Inhalts des Tarifvertrages durch eine Anpassung "nach oben" zu gewähren.
3. Einfache Differenzierungsklauseln in einem Tarifsozialplan, welche für Gewerkschaftsmitglieder in Ergänzung zu einem betrieblichen Sozialplan sowohl höhere als auch zusätzliche Abfindungsansprüche vorsehen, sind unzulässig, wenn sie einem Gewerkschaftsmitglied gegenüber einem nicht oder anders organisierten, aber ansonsten vergleichbaren Arbeitnehmer Mehrleistungen gewähren, welche
- - in der Summe die im betrieblichen Sozialplan geregelte Abfindung um fast drei Bruttomonatsentgelte erhöhen,
- - bezogen auf die Beschäftigungszeit in der Summe die im betrieblichen Sozialplan geregelte Abfindung um fast ein Drittel Bruttomonatsentgelt pro Beschäftigungsjahr erhöhen,
- - in der Summe dem Gewerkschaftsmitglied zusätzliche Abfindungen gewähren, die höher sind als die nach dem betrieblichen Sozialplan vorgesehene Abfindung,
- - allein die im betrieblichen Sozialplan geregelte Abfindung aufgrund des geänderten Bemessungsfaktors für Gewerkschaftsmitglieder um 78,5 % erhöhen.
4. Keine Bedenken bestehen gegen eine einfache Differenzierungsklausel, welche bei einem Wechsel in eine Transfergesellschaft eine um 500,00 Euro höhere Einstiegsprämie vorsehen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Minden (Entscheidung vom 22.03.2011; Aktenzeichen 2 Ca 435/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter ihrer Zurückweisung im Übrigen sowie unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 22. März 2011 (2 Ca 435/10) teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.713,91 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2. Januar 2010 sowie weitere 286,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 95,46 Euro seit 10. Mai 2010, 10.Juni 2010 und 10. Juli 2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens tragen die Kläger zu 37 %, die Beklagte zu 63 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über tarifliche Ansprüche. Zum einen geht es um die Zulässigkeit der Beschränkung der Pflicht des Arbeitgebers, finanzielle Einbußen von Arbeitnehmern aufgrund eines Sanierungstarifvertrages im Falle der betriebsbedingten Kündigung zu erstatten. Zum anderen geht es um die Zulässigkeit von Differenzierungsklauseln in einem Tarifsozialplan.
Der Kläger war vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezember 2009 bei der Beklagten beschäftigt. Er absolvierte zunächst seine Ausbildung zum Industriemechaniker, ab dem 31. Januar 2005 wurde er als solcher unbefristet eingestellt. Grundlage war ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 31. Januar 2005. Danach galten die jeweiligen Kündigungsfristen des Tarifvertrages, der Jahresurlaubsanspruch richtete sich nach den tariflichen Bestimmungen. Des Weiteren heißt es in dem Arbeitsvertrag:
"(7) Im Übrigen sind die einschlägigen Bestimmungen der Betriebsvereinbarungen sowie der Arbeitszeitordnung Inhalt dieses Arbeitsvertrages. Dasselbe gilt für die künftigen Änderungen hinsichtlich der Betriebsvereinbarungen und der Arbeitszeitordnung."
Wegen der weiteren Einzelheiten zu diesem Arbeitsvertrag wird auf dessen Kopie (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 28. September 2010, Blatt 79 f. d. A.) Bezug genommen...