Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchgriffshaftung des Alleingesellschafters im sog. qualifiziert faktischen Konzern, Haftung des Geschäftsführers nach Vertrauensgrundsätzen und wegen Konkursverschleppung
Leitsatz (amtlich)
1. Der eine GmbH beherrschende Allein- oder Mehrheitsgesellschafter haftet entsprechend den §§ 302, 303 AktG, wenn er die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausübt, die keine angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt, ohne daß sich der ihr insgesamt zugefügte Nachteil durch Einzelausgleichsmaßnahmen kompensieren ließe. Zu beachten ist, daß es bei dieser Durchgriffshaftung im sog. qualifiziert faktischen Konzern nicht um eine verschuldensunabhängige Haftung, sondern wegen der Anknüpfung an die nicht angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft um eine Haftung für den Verstoß gegen die Gesellschafterpflichten geht.
2. Tritt der Geschäftsführer einer GmbH für die Gesellschaft in Vertragsverhandlungen ein, nimmt er grundsätzlich nur das normale Verhandlungsvertrauen in Anspruch, das bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen immer gegeben ist oder vorhanden sein sollte. Selbst wenn der Geschäftsführer einer GmbH eine nicht vorhandene Leistungsfähigkeit der Gesellschaft durch ausdrückliche Erklärungen vortäuscht und nicht nur unter Verletzung einer Offenbarungspflicht deren Leistungsfähigkeit verschweigt, wird dadurch lediglich das Vertrauen des Geschäftspartners in die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, das Gegenstand der Verhandlung ist, enttäuscht. Eine persönliche Vertrauenshaftung des Geschäftsführers entsteht dadurch noch nicht.
3. Für eine Haftung wegen Konkursverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG reicht der Vortrag, es hätten von der Gründung der GmbH an „akute Liquiditätsprobleme” bestanden, und dem Geschäftsführer hätte bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages bewußt gewesen sein müssen, daß die GmbH unausweichlich einem Konkurs zusteuern würde, nicht für die Feststellung aus, daß die Konkursantragspflicht schon vor dem Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung bestanden haben soll.
Normenkette
AktG §§ 302-303; BGB § 823 Abs. 2; GmbHG §§ 13, 64 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herford (Urteil vom 01.03.1996; Aktenzeichen 3 Ca 1309/95) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 01.03.1996 (3 Ca 1309/95) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Beklagte ist Geschäftsführer der Gesellschafter der V. Schiffahrtsgesellschaft N. OHG (im folgenden: OHG). Diese betrieb zwei Binnenschiffe, wovon das eine vom Kläger geführt worden ist, der seit dem 01.07.1976 bei der OHG als Schiffsführer beschäftigt war.
Im Jahr 1993 kam die OHG in finanzielle Schwierigkeiten. Mit Schreiben vom 10.11.1993, 22.12.1993 und 28.03.1994 teilte die OHG dem Kläger diese Schwierigkeiten mit, wobei auch teilweise angekündigt worden ist, daß es möglicherweise zu dem Verkauf der Schiffe kommen würde.
Mit Datum vom 21.04.1994 gründete der Beklagte die V. Schiffahrtsgesellschaft mbH (im folgenden: GmbH) unter der Geschäftsadresse der OHG. Die Gesellschaft wurde in das Handelsregister eingetragen, ihr Stammkapital betrug 50.000 DM, das auch eingezahlt worden ist.
Am 20.05.1994 beschloß der Kläger mit der GmbH einen neuen Arbeitsvertrag, der folgende Vorbemerkung enthält:
Mit Wirkung vom 1. Mai 1994 hat die am 21. April 1994 gegründete Fa. V. Schiffahrtsgesellschaft mbH den Geschäftsbetrieb der Fa. V. Schiffahrtsgesellschaft OHG übernommen. Sie tritt mit Wirkung vom 1. Mai 1994 in die mit dieser bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Sie ist an Stelle der OHG künftig der Arbeitgeber in den von der GmbH begründeten Arbeitsverhältnissen. Der Umfang dieser Arbeitsverhältnisse gilt unverändert fort (Wahrung des Besitzstandes der Arbeitnehmer), Mit schuldbefreiender Wirkung übernimmt die Fa. V. Schiffahrtsgesellschaft mbH sämtliche Verpflichtungen der Fa. V. Schiffahrtsgesellschaft N. OHG gegenüber dem Arbeitnehmer des vorliegenden Arbeitsverhältnisses, das im Verhältnis zu ihr zwar aufgelöst, aber unverändert von der V. Schiffahrtsgesellschaft mbH übernommen und fortgesetzt wird.
Die Gehälter des Klägers bis April 1994 hatte die OHG gezahlt. Die Gehälter für Mai und Juni 1994 sind von der GmbH gezahlt worden. Ab Juli 1994 hat der Kläger von der GmbH kein Geld mehr erhalten.
Am 28.07.1994 hat die GmbH das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Dagegen hat sich der Kläger mit einer Feststellungsklage zur Wehr gesetzt. Das Verfahren endete durch einen am 14.11.1994 (1 Ca 1455/94) verkündetes Versäumnisurteil, in dem das Arbeitsgericht Herford festgestellt hat, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien (dem Kläger und der GmbH) weiter bestehe, insbesondere durch eine Kündigung vom 28.07.1994 nicht beendet worden sei.
Mit einer am 25.08.1995...