Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichteilhaltung Schriftform bei Einleitung des Konsultationsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Eine lediglich mündliche, jedoch mit den Pflichtangaben nach § 17 Abs. 2 S. 1 Nrn. 15 KSchG versehene Unterrichtung führt trotz Verstoßes gegen § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG nicht zur Unwirksamkeit einer im Zusammenhang mit der Massenentlassung erklärten Kündigung

 

Normenkette

KSchG § 17 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Urteil vom 02.07.2010; Aktenzeichen 4 Ca 88/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.09.2012; Aktenzeichen 6 AZR 155/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 02.07.2010 – 4 Ca 88/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung und über den kündigungsabhängigen Anspruch auf Vergütung.

Von der Darstellung des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird nach § 69 Abs. 2 ArbGG unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 183 – 185 d.A.) abgesehen.

Das Arbeitsgericht Paderborn hat die Klage mit Urteil vom 02.07.2010 – 4 Ca 88/10 – abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen (Bl. 185 – 187 d.A.).

Das Urteil ist der Klägerin am 07.07.2010 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 06.08.2010 eingelegte und mit dem – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.10.2010 – am 07.10.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.

Die Klägerin meint, die Kündigung sei bereits unwirksam, weil der Betriebsrat nicht nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG schriftlich über die geplante Massenentlassung unterrichtet worden sei.

Die Klägerin beantragt,

  1. das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem beklagten Insolvenzverwalter durch Kündigung vom 16.10.2009, zugegangen am 17.10.2009, noch nicht aufgelöst ist,
  2. festzustellen, dass der Klägerin eine Masseverbindlichkeit in Höhe von 5.927,06 EUR brutto zusteht, die gem. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berichtigen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Rechtszügen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), wegen des Streitgegenstands zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und auch ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden. Sie hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Kammer folgt den Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Unbegründetheit der Klage und sieht insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Berufungsbegründung gibt zu den folgenden Ergänzungen Anlass.

1. Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen die Pflicht aus § 17 Abs. 2 S.1 KSchG zur schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats über die Massenentlassung unwirksam.

1.1. Nach § 17 Abs. 2 KSchG hat der Arbeitgeber bei einer nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigenpflichtigen Entlassung (Massenentlassung) das Konsultationsverfahren durchzuführen. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG hat er den Betriebsrat insbesondere über die in § 17 Abs. 2 S. 1 Nrn. 16 KSchG angeführten Punkte schriftlich zu unterrichten und nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG der Bundesagentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten. Nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG haben Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Nach Abschluss der Beratungen hat der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG gegenüber der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten, und zwar nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats. Ein Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG ersetzt nach § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S.2 KSchG.

1.2. Das Konsultationsverfahren wurde von dem Beklagten ordnungsgemäß durchgeführt.

1.2.1. Im Streitfall konnte das Konsultationsverfahren gegenüber dem Gesamtbetriebsrat durchgeführt werden. Bei beabsichtigten Massenentlassungen ist zwar regelmäßig der Betriebsrat zu beteiligen. Dieser hat hier aber unstreitig (vgl. auch Präambel des Interessenausgleichs, dort Abs. 4 – Bl. 41 d.A.) den Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 2 S. 1 BetrVG beauftragt, was zulässig ist (Reinhard, RdA 2007, 212).

1.2.2. Das Konsultationsverfahren wurde ordnungsgemäß schriftlich ...

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