Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitteilung aller tragenden Umstände bei Kündigungsentschluss an Betriebsrat
Leitsatz (amtlich)
Es bleibt offen, ob der Arbeitgeber im Rahmen des Konsultationsverfahrens verpflichtet ist, Auskünfte über etwaige Beschäftigungsmöglichkeiten bei anderen (Konzern-) Unternehmen zu erteilen. Eine Auskunftspflicht besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Betriebsrat bereits Kenntnis von den Beschäftigungsmöglichkeiten besitzt.
Leitsatz (redaktionell)
Dem Betriebsrat sind alle tragenden Umstände im Rahmen einer beabsichtigten Kündigung mitzuteilen, damit dieser eine abschließende Entscheidung treffen kann.
Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates.
Der Gesamtbetriebsrat ist nur bei Maßnahmen anzuhören, die den Betrieb im Ganzen betreffen. Ansonsten ist der örtliche Betriebsrat zuständig.
Normenkette
KSchG § 17; BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3, § 50 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 17.01.2019; Aktenzeichen 4 Ca 1559/18) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 17.01.2019 - 4 Ca 1559/18 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs.
Der Kläger, geboren 1963, ist seit dem 01.04.1992 als Maschinenbauingenieur für die Beklagte tätig. Er bezog eine monatliche Vergütung in Höhe von zuletzt 6.300,00 Euro brutto. Der Kläger arbeitete in einem Betrieb, den die Beklagte in Q führte. Dort waren zuletzt etwa 570 Arbeitnehmer beschäftigt.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferungsbranche und gehört der E-Unternehmensgruppe an. Gesellschafterin der Beklagten ist die E 1 GmbH. Der Geschäftsführer der Beklagten ist auch Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Gesellschafterin der E 1 GmbH ist die E 2 GmbH. Deren Geschäftsführer ist Herr H. Konzernobergesellschaft der E-Unternehmensgruppe ist die E 3 mit Sitz in N (USA).
In Q führt auch die Gesellschafterin der Beklagten, die E 1 GmbH, einen Betrieb. Die Beklagte unterhält mit dieser Gesellschaft gemeinsam einen weiteren Betrieb in L-T. Dort waren zuletzt 93 Mitarbeiter beschäftigt. Im Q Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gewählt. Vorsitzender dieses Betriebsrats ist Herr J. Auch im T Betrieb ist ein Betriebsrat gewählt. Es besteht ein Gesamtbetriebsrat, dessen Vorsitzender ebenfalls Herr J ist.
Die Betriebe der Beklagten wirtschafteten seit Jahren defizitär und realisierten in den vergangenen fünf Jahren Verluste i.H.v. 160 Millionen Euro, die gesellschafterseitig getragen werden mussten. Nachdem im Jahr 2017 verschiedene Restrukturierungsversuche der Beklagten betreffend die Standorte Q und L-T gescheitert waren und im September 2017 außerdem ein Großbrand in dem Werk in Q zwei bedeutende Produktionsanlagen zerstört hatte, traf die Konzernobergesellschaft, die E 3, im April 2018 die Entscheidung, die Standorte in Q und T nur noch bis zum 30.04.2019 fortzuführen und zu finanzieren. Mit dem Gesellschafterbeschluss der E 2 Germany vom 23.04.2018 wurden die Geschäftsführer der E 2 Germany und der E 1 GmbH angewiesen, Gesellschafterbeschlüsse im Hinblick auf die Einstellung des operativen Geschäftsbetriebes der E 1 GmbH und der Beklagten zu beschließen. Einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss traf die Gesellschafterin der Beklagten am 23.04.2018. In den Gesellschafterbeschlüssen wurden die Geschäftsführer der Gesellschaften angewiesen, unverzüglich in Verhandlungen mit den zuständigen Betriebsräten über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan einzutreten.
Anfang Mai 2019 nahm in M, etwa 15 Kilometer von Q entfernt, ein neuer Betrieb seine Tätigkeit auf. Es handelt sich um ein "Technical & Engineering Center" (nachfolgend: TEC), das von einer anderen Gesellschaft der E-Gruppe, der E 2 GmbH, geführt wird. Geschäftsführer dieser Gesellschaft ist Herr H. Gesellschafterin der E 3 GmbH ist die E 2 GmbH & Co KG. In diesem Betrieb werden neun Arbeitnehmer beschäftigt, die zuvor - bis zum 30.04.2019 - bei der Beklagten tätig waren. Im TEC sind darüber hinaus etwa 70-80 Arbeitnehmer tätig, die zuvor bei der E 1 GmbH arbeiteten.
Der Geschäftsführer der Beklagten lud den Betriebsrat am 30.04.2018 zu Verhandlungen über die geplante Betriebsstilllegung ein. Der Betriebsrat beschloss am 14.05.2018, den Gesamtbetriebsrat mit der Verhandlungsführung zu beauftragen. Am 16.05.2018 fand eine Informationsveranstaltung statt, an der die Betriebsräte der betroffenen Betriebe in Q und T beteiligt waren. Mit der E-Mail vom 13.06.2018 widerrief der Betriebsrat die Beauftragung des Gesamtbetriebsrats.
Mit an den Betriebsrat gerichtetem Schreiben vom 12.06.2018 erklärte die Beklagte, das Konsultationsverfahren i.S.d. § 17 KSchG einleiten zu wollen. In diesem Schreiben unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die Gründe für die geplanten Entlassunge...