Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung des ordentlich nicht kündbaren Arbeitsverhältnisses eines Busfahrers wegen der Weigerung, während seiner Fahrten das RIBAS-Display einzusetzen

 

Leitsatz (amtlich)

Außerordentliche Kündigung wegen der Weigerung eines Busfahrers, die ihm durch eine Betriebsvereinbarung auferlegte Pflicht zu erfüllen, im Rahmen des Einsatzes des von MIX Telematix entwickelten RIBAS-Systems einen anonymisierten Schlüssel zu verwenden, um die Funktionen des Systems auszulösen.

Das RIBAS-Display wird mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer angeschlossen und in der Fahrerkabine im Sichtfeld des Fahrers montiert. Werden vom Fahrer die im System hinterlegten Grenzwerte zur Fahrweise, zur Leerlaufzeitüberschreitung, zum Bremsen sowie Beschleunigungen und zur Geschwindigkeitsüberschreitung überschritten, informiert ihn darüber eine Warnleuchte.

Nach der Betriebsvereinbarung kann die Anonymisierung im Einzelfall bei erheblicher Überschreitung der in der Betriebsvereinbarung aufgeführten Grenzwerte in Bezug auf die im jeweiligen Betrieb durchschnittlichen Überschreitungen nach vorheriger Abstimmung mit dem Betriebsrat aufgehoben werden, um Schulungen des Fahrers zu veranlassen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die sich aus der Betriebsvereinbarung ergebende Pflicht eines Busfahrers, im Rahmen des Einsatzes des von MIX Telematix entwickelten RIBAS-Systems einen anonymisierten Schlüssel zu verwenden, um die Funktionen des Systems auszulösen, ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Dabei folgt die Erlaubnis zur Erhebung persönlicher Daten aus der Betriebsvereinbarung.

2. Die Erhebung von Leistungsdaten, die nur ausnahmsweise personalisiert werden, beeinträchtigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Fahrers in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht in unverhältnismäßiger Weise.

3. Bei Würdigung der beiderseitigen Interessen ist es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, dauerhaft an dem Arbeitsverhältnis mit einem Busfahrer festzuhalten, der sich weigert, den anonymisierten Schlüssel zu aktivieren. Jedoch ist es dem Arbeitgeber aufgrund einer Interessenabwägung zuzumuten, die soziale Auslauffrist zu wahren.

 

Normenkette

BDSG § 32 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 75 Abs. 2 S. 1; BGB § 626 Abs. 1; TV-N NRW § 20 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 27.05.2015; Aktenzeichen 5 Ca 24/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.11.2016; Aktenzeichen 2 AZR 730/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 27.05.2015 - 5 Ca 24/15 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 12.03.2015 nicht beendet worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 68 %, die Beklagte zu 32 %.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht drei Abmahnungen erteilte und ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch arbeitgeberseitige Kündigung beendet ist.

Der 1956 geborene, verheiratete Kläger, Vater zweier erwachsener Kinder, war seit dem 01.10.1989 als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein Bruttomonatsentgelt von 3.000,00 €. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Spartentarifvertrag für Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) vom 25.05.2011 Anwendung.

Die Beklagte schloss mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat am 20.08.2014 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz von MiX RIBAS und die Zahlung einer Leistungsprämie (Bl. 6 bis 11 d.A.). Nach der Präambel unterstützt der Einsatz des MiX RIBAS- Systems den Fahrer, bei einfachster Handhabung sicher, umweltbewusst und kostensparend zu fahren.

§ 2 der Betriebsvereinbarung (BV) lautet wie folgt:

Zielsetzung

Mit dem Einsatz von RIBAS und der Zahlung einer Leistungsprämie werden folgende Ziele verfolgt:

- Entlastung des Fahrers

- Erhöhung der persönlichen Zufriedenheit

- Erhöhung der Kundenzufriedenheit

- Verringerung der CO2 Emission

- Verringerung des Verkehrslärms

- Erhöhung der Verkehrssicherheit

- Reduzierung der Energiekosten

- Reduzierung des Materialverschleißes.

In § 3 BV trafen die Parteien folgende Regelung:

RIBAS Funktionsweise

Das von MiX Telematics entwickelte RIBAS-Display wird mit einer Kabelverbindung an den Bordcomputer, FM Communicator, angeschlossen. Das Display wird in der Fahrerkabine im Sichtfeld des Fahrers, z.B. A Säule montiert. Werden vom Fahrer die im System hinterlegten Grenzwerte überschritten, informiert ihn darüber eine Warnleuchte des RIBAS-Displays. Jedes Symbol korrespondiert mit einer Überschreitung:

R = zu hochtourige Fahrweise (over Revving)

I = Leerlaufzeitüberschreitungen (excessive Idling)

B = scharfes Bremsen (harsh Braking)

A = überhöhte Beschleunigung (harsh Acceleration)

S = Geschwindigkeitsüberschreitungen (over Speeding)

Neben dem Aufleuchten der jeweiligen LED ertönt für jedes Ereignis eine...

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