Entscheidungsstichwort (Thema)
Schriftliche Beherrschung der deutschen Sprache. Anforderungsprofil. Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Ändert der Unternehmer das Anforderungsprofil einer Tätigkeit in der Weise, dass die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift verlangt wird, und ist ein seit langem beschäftigter Arbeitnehmer ausländischer Herkunft nicht in der Lage, die deutsche Sprache so zu erlernen, dass er Arbeitsanweisungen lesen kann, so liegt eine mittelbare Diskriminierung des Arbeitnehmers vor, wenn die Arbeit so organisiert werden kann, dass die schriftliche Sprachbeherrschung nicht erforderlich ist. Die unternehmerische Entscheidung ist wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unwirksam. Eine hierauf gestützte betriebsbedingte Kündigung erweist sich als sozialwidrig. Dem steht § 2 Abs. 4 AGG nicht entgegen.
Normenkette
KSchG § 1; AGG §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 2, § 2 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Herford (Urteil vom 30.10.2007; Aktenzeichen 3 Ca 749/07) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 30.10.2007 – 3 Ca 749/07 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 18.05.2007 nicht zum 31.12.2007 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Maschinenbediener zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie um einen Anspruch des Klägers auf vorläufige Weiterbeschäftigung.
Der am 16.10.1948 geborene, verwitwete Kläger war seit dem 04.04.1978 bei der Beklagten als Produktionshelfer im Spritzguss beschäftigt. Bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche erzielte er einschließlich Sonderzahlungen einen durchschnittlichen monatlichen Lohn von 2.100,– EUR brutto. Der Kläger ist gebürtiger Spanier. Er hat seine Schulausbildung in Spanien absolviert.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der Automobilzulieferer-Industrie mit der Fertigung von Kunststoffteilen. Sie beschäftigt regelmäßig etwa 300 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist gebildet. Nach dem vom Kläger mit Nichtwissen bestrittenen Sachvortrag der Beklagten ist diese seit dem 06.02.2004 nach den Qualitätsnormen ISO 9001 und ISO/TS 16949 zertifiziert.
Der Kläger ist in der Spritzgussabteilung eingesetzt, in der pro Schicht etwa 20 bis 30 Werker und ein Einrichter tätig sind. Für seine Tätigkeit gilt eine am 30.10.2001 erstellte Stellenbeschreibung (Bl. 53 – 54 d.A.), die vom Kläger unterzeichnet worden ist. Unter der Rubrik „Anforderungen an den Stelleninhaber/in” ist unter anderem das Erfordernis der Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift aufgeführt. Zu den Hauptaufgaben des Klägers zählt die Ausführung der übertragenen Arbeiten gemäß mündlichen und schriftlichen Anweisungen, z.B. das Überwachen der automatischen Behälterfüllung, das Einpacken von Teilen nach Packvorschrift sowie die Produktionskontrolle. Er hat unter anderem Fehler bzw. Störungen an den Produktionsanlagen und den gefertigten Produkten zu erkennen und zu melden. Tatsächlich führt der Kläger insoweit eine visuelle Prüfung durch und füllt in diesem Zusammenhang eine Fehlercheckliste für Werker (Bl. 65 d.A.) aus. Eine messende Prüfung mit Hilfe von Messmitteln nimmt der Kläger nicht selbst vor. Diese wird von einer dritten Person durchgeführt. Ob dies für die anderen im Spritzguss eingesetzten Werker auch gilt, ist zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger absolvierte im September 2003 auf Kosten der Beklagten während der Arbeitszeit einen Deutschkurs. Einen ihm aufgrund seines Kenntnisstandes und der Einschätzung des Lehrers empfohlenen Folgekurs lehnte der Kläger ab. Mit Schreiben vom 22.07.2004 forderte die Beklagte ihn auf, an einem Deutschkurs als Firmenseminar im Haus teilzunehmen. Dem kam der Kläger nicht nach. Eine Praxisveranstaltung zur Werkerselbstprüfung schloss der Kläger mit dem Gesamtergebnis „ungenügend” ab. In der Folgezeit wurde bei mehreren sogenannten internen Audits festgestellt, dass der Kläger nicht in der Lage sei, Arbeits- und Prüfanweisungen zu lesen und zu verstehen, da ihm die geforderten Deutschkenntnisse fehlten. Mit Schreiben vom 15.09.2005 (Bl. 35 d.A.) wurde er aus diesem Grunde ermahnt und aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern. Eine weitere Aufforderung erhielt er mit Schreiben vom 22.02.2006 (Bl. 36 d.A.), in dem er auch darauf hingewiesen wurde, dass er mit einer betriebsbedingten Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen müsse, wenn er die geforderten Kenntnisse nicht erfolgreich nachweisen könne. Am 30.06.2006 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Durchführung von internen Audits zur Abklärung des Vorliegens der notwendigen Mitarbeiter...