Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungssicherungstarifvertrag. Zustimmungserfordernis für betriebsbedingte Kündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Bestimmt ein Tarifvertrag zur Sanierung und Beschäftigungssicherung, dass während der Laufzeit der Sanierungsvereinbarung nur mit Zustimmung der Gewerkschaft (betriebsbedingt) gekündigt werden kann, so muss die für die Wirksamkeit der Kündigung erforderliche Zustimmung vor Ausspruch der Kündigung erklärt werden.
2. Eine nach Zugang der Kündigung erteilte Zustimmung der Gewerkschaft wirkt nicht gemäß § 184 BGB auf den Zeitpunkt der Kündigung zurück. Die Kündigung, die ohne die tarifvertraglich bestimmte Zustimmung erklärt worden ist, ist nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen nicht genehmigungsfähig sondern nichtig.
Normenkette
TVG § 4; BGB §§ 134, 182, 184
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Urteil vom 26.11.2008; Aktenzeichen 6 Ca 1986/08) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 26.11.2008 – 6 Ca 1986/08 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf betriebliche Gründe gestützten arbeitgeberseitigen Kündigung vom 11.07.2008 zum 31.12.2008.
Die Klägerin ist am 05.04.1963 geboren. Sie ist verheiratet und lebt getrennt. Sie ist einem Kind unterhaltsverpflichtet, das sich in der Ausbildung befindet. Seit dem 05.03.1996 ist die Klägerin bei der Beklagten als Korrektorin und Setzerin beschäftigt. Die Arbeitsaufgaben der Klägerin bestanden insbesondere darin, Texte in der EDV zu erfassen, externe Texte zu bearbeiten und dabei insbesondere unterschiedliche Formate zu importieren, Seiten zu gestalten und zu einem erheblichen Anteil Texte Korrektur zu lesen. Auf den in Kopie zur Akte gereichten schriftlichen Arbeitsvertrag vom 28.02.1996 wird Bezug genommen (Bl. 3 GA). Die Klägerin erzielte ein durchschnittliches Bruttomonatsgehalt in Höhe von ca. 2.400,00 EUR. Auf ihrer Lohnsteuerkarte waren die Lohnsteuerklasse I und der Kinderfreibetrag 0 eingetragen. Soweit im Arbeitsvertrag auf den Manteltarifvertrag des graphischen Gewerbes Bezug genommen ist, ist der MTV Druckindustrie gemeint. Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di.
Die Beklagte bietet Dienstleistungen im Druck- und Medienbereich an und beschäftigte zum Zeitpunkt der Kündigung ca. 77 Mitarbeiter. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.
Die Beklagte schloss unter dem 30.05.2007 mit der Gewerkschaft ver.di eine Tarifvereinbarung (fortan: Tarifvereinbarung 2007). Die Tarifvereinbarung 2007 sieht das Entfallen von zusätzlichem Urlaubsgeld und tariflicher Jahresleistung unter Hinweis auf § 4 Nr. 1 a MTV Druckindustrie vor, bestimmt die Einführung eines Arbeitszeitkontos und beschränkt die Lohnerhöhungen für 2007 und 2008 abweichend vom Flächentarifvertrag auf 1 % des Tariflohns. In § 4 Tarifvereinbarung 2007 heißt es dann:
„§ 4 Beschäftigungssicherung
4.1. Im Rahmen der Sanierung bzw. im Rahmen eines unumgänglichen Abbaus eines vorhandenen Personalüberhangs hat das Unternehmen bereits sieben betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen, die nach dem 01.04.2007 Wirksamkeit entfalten. Insofern gilt keine Beschäftigungssicherung. Für alle übrigen Beschäftigten gilt für die Laufzeit dieser Sanierungsvereinbarung Beschäftigungssicherung. Kann diese Vereinbarung in Einzelfällen nicht eingehalten werden, kann Ihnen [sic] nur mit Zustimmung des Betriebsrates und der ver.di Landesbezirk NRW (Fachbereich Medien, Kunst und Industrie) gekündigt werden. Im Falle einer Kündigung sind den betroffenen Mitarbeitern die Verluste auszugleichen, die durch diese Sanierungsvereinbarung eingetreten sind.
§ 5
5.1. Diese Vereinbarung tritt am 01.04.2007 – bezüglich der Regelungen in den Ziffern 3.3 bis 3.5 bereits mit Wirkung zum 01.01.2007 – in Kraft und kann erstmals zum 31.12.2008 mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. …”
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichte Kopie der Tarifvereinbarung 2007 Bezug genommen (Bl. 4, 5 GA).
Mit Schreiben vom 04.07.2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin zum 31.12.2008 an. Zum Kündigungsgrund heißt es im Anhörungsbogen u.a.:
„Die Abteilung Druckvorstufe/Satzherstellung wird zum 01. Oktober 2008 aufgelöst. …”.
Die Beklagte gab den Familienstand der Klägerin mit ledig und die Kinderanzahl mit 0 an. Sie nannte die Personalnummer des ebenfalls in der Abteilung der Klägerin beschäftigten Mitarbeiters S3. Zu den anderen Mitarbeitern des Bereiches Druckvorstufe / Satzherstellung heißt es in der Mitteilung an den Betriebsrat (Bl. 22 GA):
„F1, M1 |
… |
kündigt zum 01.10.2008; |
H2, U1 |
… |
Betriebsratsmitglied; |
D3. Q1, I1 |
… |
gekündigter Korrektor; |
S4 D6 |
… |
Elternteilzeit bis 15.08.2009; |
S3, W1 |
… |
gekündigter 3B2-Setzer.” |
Unter dem 10.07.2008 erklärte der Betriebsrat auf dem Formular „Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 BetrVG” im Formularfeld „Stellun...