Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung. Zweiwochenfrist. Verzögerung durch überflüssige Aufklärungsmaßnahmen. Zurechnung von Organisationsverschulden. unvollständige Betriebsratsanhörung bei fehlenden Angaben zur Einhaltung der Zweiwochenfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei ersichtlich überflüssigen Aufklärungsmaßnahmen

a) Verteidigt sich der im Automobilwerk tätige, zu einer Verdachtskündigung angehörte AN gegenüber dem Vorwurf eines versuchten Diebstahls mit dem Einwand einer Personenverwechselung, so wird der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht durch zusätzliche Aufklärungsmaßnahmen gehemmt, mit denen der konkrete Wert der angeblich beim AN vorgefundenen Kfz-Teile (Anlasser) sowie deren Herkunft aus laufender Produktion oder Lager geklärt werden soll.

b) Überlässt der Arbeitgeber die Aufklärung auffälliger Sachverhalte einem eigenständig handelnden Ermittlungsdienst, ohne sicher zu stellen, dass in Zweifelsfällen Rückfrage bei der für Kündigungen zuständigen Personalabteilung gehalten wird, so liegt hierin ein eigenes Organisationsverschulden mit der Folge, dass sich der Arbeitgeber so behandeln lassen muss, als habe er Kenntnis vom Kündigungssachverhalt zu einem Zeitpunkt vor Durchführung der überflüssigen Aufklärungsmaßnahmen erlangt.

2. Mängel der Betriebsratsanhörung bei fehlenden Angaben zum Lauf der Zwei-Wochen-Frist

Die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist Teil des Kündigungsgrundes, so dass die für den Lauf der Kündigungsfrist maßgeblichen Tatsachen dem Betriebsrat im Zuge des Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG mitgeteilt werden müssen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 2; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Urteil vom 29.08.2007; Aktenzeichen 5 Ca 1510/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 29.08.2007 – 5 Ca 1510/07 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1951 geborene und seit dem Jahre 1981 in der Automobilfabrik der Beklagten als Transportgerätefahrer beschäftigte Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung vom 18.06.2007.

Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte auf den Vortrag, gegenüber dem Kläger bestehe der dringende und nicht anderweitig auszuräumende Verdacht eines Diebstahlversuchs. Am Abend des 18.05.2007 sei der Kläger unter Mitführung einer Plastiktüte von einem Werkschutzmitarbeiter angetroffen und zur Rede gestellt worden. Nachdem der Werkschutzmitarbeiter in der Plastiktüte scharfkantige Teile ertastet habe, sei der Kläger weggerannt und habe im Zuge der Verfolgung die mitgeführte Tüte, in welcher sich u.a. ein Bosch-Anlasser im Wert von ca. 142,– EUR befunden habe, mit den Worten: „Das ist nicht meine Tüte” zwischen zwei parkenden Autos geworfen. Bei seiner Anhörung durch den Ermittlungsdienst am 21.05. und 24.05.2007 habe der Kläger den gesamten Hergang und insbesondere das Mitführen einer Plastiktüte bestritten, was indessen in Anbetracht der gegensätzlichen Schilderung des Werkschutzmitarbeiters sowie weiterer Umstände vollkommen unglaubwürdig sei. Nach Übersendung des Ermittlungsberichts vom 06.06.2007 (Bl. 32 ff. d.A.) an die Personalabteilung und nach erneuter persönlicher Anhörung des Klägers am 12.06.2007 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat mit schriftlicher Kündigungsvoranzeige vom 30.06.2007 (Bl. 30 ff. d.A.) über die beabsichtigte Kündigung und sprach nach Eingang der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats vom 15.06.2007 (Bl. 6 d.A.) die angegriffene Kündigung erfolgt aus.

Demgegenüber hat der Kläger den gesamten Kündigungssachverhalt bestritten und vorgetragen, zu keinem Zeitpunkt habe er die besagte Plastiktüte bei sich geführt, was der ihn begleitende Kollege N1 im Zuge seiner Vernehmung durch den Ermittlungsdienst auch bestätigt habe. Da auch die vom Werkschutzmitarbeiter gegebene Wegbeschreibung den Realitäten nicht entspreche, könne sich der Kläger dessen Aussage in keiner Weise erklären. Unabhängig von der fehlenden Berechtigung des Kündigungsvorwurfs scheitere die angegriffene Kündigung jedenfalls an der Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, da nicht ersichtlich sei, inwiefern von Seiten des Ermittlungsdienstes oder der Personalabteilung nach Abschluss der Anhörungen vom 24.05.2007 Anlass bestanden habe, mit dem Ausspruch der Kündigung abzuwarten.

Durch Urteil vom 29.08.2007 (Bl. 56 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Fassung der Klageanträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 08.06.2007 nicht aufgelöst worden sei. Ferner ist die Beklagte verurteilt worden, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandschutzverfahrens als Stapler- und Schlepperfahrer weiter zu beschäftigen. Zu...

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