Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Kündigung. beharrliche Arbeitsverweigerung. Direktionsrecht. Glaubensfreiheit. Gewissenskonflikt. Darlegungslast. Unternehmerfreiheit. „Jesus hat Sie lieb”
Leitsatz (amtlich)
Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine arbeitgeberseitige Weisung seine Glaubensüberzeugung verletzt und deshalb von ihm nicht zu beachten ist (hier: Weisung, bei der Verabschiedung von Telefonkunden auf den Zusatz „Jesus hat Sie lieb” zu verzichten), muss er plausibel darlegen, dass seine Haltung auf einer für ihn zwingenden Verhaltensregel beruht, gegen die er nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. Gelingt ihm dies nicht, kommt nach den Grundsätzen der sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber in Betracht.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; GewO § 106 S. 1; GG Art. 4 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Urteil vom 08.07.2010; Aktenzeichen 4 Ca 734/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 08. Juli 2010 – 4 Ca 734/10 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.
Der am 14.03.1982 geborene und ledige Kläger war seit dem 25.06.2004 bei der Beklagten sechs Stunden wöchentlich bei einer pauschalen Monatsvergütung i.H.v. 400,00 EUR als Telefonagent beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Call-Center. Aufgabe des Klägers war es, telefonische Warenbestellungen entgegenzunehmen. Der Verlauf eines derartigen Telefongesprächs ist bei der Beklagten durch ein sog. Standardskript in wesentlichen Teilen vorgegeben. Die Verabschiedungsformel soll danach lauten „Ich danke Ihnen für Ihre Bestellung bei Q1! Auf Wiederhören.” oder „Ich danke für Ihre Bestellung bei Q1 und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag/Abend! Auf Wiederhören.”
Die Beklagte überwacht Verkaufstelefonate gelegentlich durch sog. Supervisoren. Auf diese Weise erlangte sie Kenntnis davon, dass der Kläger am 19.01.2010 drei Telefonate mit Kunden mit den Worten beendete: „Jesus hat Sie lieb! Vielen Dank für Ihren Einkauf bei Q1 und einen schönen Tag!” Am 21.01.2010 verabschiedete der Kläger erneut zwei Kunden mit diesen Worten. Dies nahmen die Supervisoren F1 und A2 zum Anlass, den Kläger darauf hinzuweisen, dass die von ihm gewählte Verabschiedung nicht den Vorgaben des Standardskripts entspreche. Der Kläger erwiderte, er müsse zwei Verpflichtungen nachkommen, nämlich denen gegenüber der Beklagten und denen gegenüber Gott. Durch die von ihm gewählte Verabschiedungsformel könne er beiden Verpflichtungen gerecht werden. Als ihm der Supervisor A2 daraufhin eine derartige Verabschiedung untersagte und anderenfalls die Beendigung des Arbeitsverhältnisses androhte, erklärte der Kläger, aufgrund seiner tiefen religiösen Überzeugung könne er dieser Weisung nicht folgen. Er sei bereit, dafür alle Konsequenzen zu tragen. Am 22.01.2010 führten Mitarbeiter der Personalverwaltung der Beklagten mit dem Kläger ein weiteres Gespräch, in dem dieser auf seiner Haltung beharrte und erneut erklärte, er würde dafür auch die Konsequenzen tragen. Er wolle überlegen, ob er von sich aus das Arbeitsverhältnis kündige. Der Kläger wurde daraufhin von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung vorläufig freigestellt und darum gebeten, der Beklagten seine Entscheidung bis zum 25.01.2010 mitzuteilen. Am 28.01.2010 fand ein letztes Gespräch zwischen dem Kläger und Vertretern der Beklagten statt, in dem ihm noch einmal dargelegt wurde, dass aus deren Sicht eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei, sofern er die Verabschiedung mit den Worten „Jesus Christus liebt Dich” künftig nicht unterlasse. Der Kläger entgegnete, er werde sein Verhalten nicht ändern, wolle aber am Arbeitsverhältnis festhalten, um den Glauben Gottes verbreiten zu können.
Daraufhin hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat am 29.01.2010 zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an. Wegen der Einzelheiten der schriftlichen Betriebsratsanhörung wird auf den Anhörungsbogen vom 29.01.2010, den die Beklagte in der Berufungsinstanz überreicht hat, auf Aktenblatt 96 verwiesen, hinsichtlich der Anlage dazu auf Aktenblatt 33-39. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung. Die Beklagte hat gleichwohl das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 03.02.2010 fristlos, hilfsweise zum 30.04.2010 gekündigt.
Im Anschluss an die erstinstanzliche Entscheidung im vorliegenden Verfahren machte der Kläger in einem gesonderten Rechtsstreit, der beim Arbeitsgericht Bochum unter dem Aktenzeichen 1 Ca 3221/10 geführt wird, einen Beschäftigungsanspruch geltend. Im Rahmen dieses Verfahrens erklärte der Kläger durch Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 17.03.2011, er sei bereit, bis zu...