Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer an den Bezug einer ungekürzten Altersrente anknüpfenden Altersgrenzenregelung in einem Tarifvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Eine tarifvertragliche Regelung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem Zeitpunkt vorsieht, in dem der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine ungekürzte Altersrente erreicht hat, ist gem. §§ 134 BGB, 41 SGB VI a.F. unwirksam, weil sie einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, der zwei Jahre vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine ungekürzte Altersrente beziehen kann, die Wahlfreiheit nimmt, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze im Arbeitsverhältnis zu bleiben.
Normenkette
SGB VI § 41; Manteltarifvertrages für das Bäcker-Handwerk in NRW vom 01.01.2012 § 4 Nr. 5
Verfahrensgang
ArbG Rheine (Entscheidung vom 31.07.2014; Aktenzeichen 4 Ca 509/14) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 31.07.2014 - 4 Ca 509/14 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Rahmen einer arbeitgeberseitigen Feststellungsklage streiten die Parteien darüber, ob das Arbeitsverhältnis zu der beklagten Arbeitnehmerin aufgrund einer tariflichen Altersgrenzenregelung mit dem 31.03.2014 beendet worden ist.
Die Beklagte ist seit dem 01.03.2003 bei der Klägerin, einem Unternehmen im Bereich der Backwarenherstellung, beschäftigt. Die Beklagte ist anerkannte Schwerbehinderte. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beidseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für das Bäcker-Handwerk Nordrhein-Westfalen Anwendung.
§ 4 Ziff. 5 des Manteltarifvertrages für das Bäcker-Handwerk in NRW vom 01.01.2012 (fortan MTV Bäckerhandwerk) lautet wie folgt:
"Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ende des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für den Bezug einer ungekürzten Alters- oder vollen Erwerbsminderungsrente erreicht hat bzw. diese festgestellt wird. ..."
Die Beklagte ist 1951 geboren und kann - als Schwerbehinderte - mit dem 01.04.2014 abschlagsfrei in Rente gehen. Die Regelaltersgrenze erreicht die Klägerin unstreitig erst mit dem 31.07.2016 (§ 35 Satz 2 SGB VI).
Zur Problematik vereinbarter Altersgrenzen zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen verhält sich § 41 SGB VI:
"Der Anspruch des Versicherten auf eine Rente wegen Alters ist nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. Eine Vereinbarung, die die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters beantragen kann, gilt dem Arbeitnehmer gegenüber als auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen, es sei denn, dass die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt bestätigt worden ist."
Die Klägerin hat gemeint, das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der o.g. tariflichen Regelungen mit Ablauf des 31.03.2014 sein Ende gefunden, weil die Beklagte ab diesem Zeitpunkt abschlagsfreie Altersrente beziehen könne. Kollektivvertragliche Regelungen in Tarifverträgen fielen nicht unter den Geltungsbereich des § 41 SGB VI.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass zwischen den Parteien mit Ablauf des 31.03.2014 kein Arbeitsverhältnis mehr besteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat gemeint, unter Berücksichtigung der Regelungen des § 41 S. 2 SGB VI ende das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Regelungen des § 4 Nr. 5 des Manteltarifvertrages für das Bäckerhandwerk mit dem 31.03.2014. Durch die Regelung in dem o. g. Tarifvertrag werde die dem Arbeitnehmer durch den Gesetzgeber eingeräumte Wahlmöglichkeit ausgehebelt. § 41 S. 2 SGB VI vermittele eine individuelle Rechtsposition, die nicht tarifdispositiv sei.
Die Feststellungsklage ist am 21.03.2014 bei dem Arbeitsgericht eingegangen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 31.07.2014 abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien habe nicht mit Ablauf des 31.03.2014 geendet. Zwar sei die tarifvertragliche Regelung keine "Vereinbarung" im Sinne von § 41 Satz 2 SGB VI. Entsprechend den Überlegungen des BAG zum § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI damaliger Fassung (BAG 20.10.1993 - 7 AZR 135/93 -) sei die Regelung in § 4 Nr. 5 MTV Bäckerhandwerk jedoch gleichwohl gemäß § 134 BGB unwirksam, weil sie dem Arbeitnehmer in unzulässiger Weise das von der Regelung des § 41 Satz 2 SGB VI gewollte Wahlrecht nehme, bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze im Arbeitsverhältnis zu verbleiben.
Das Urteil ist der Klägerin am 18.08.2014 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 04.09.2014 Berufung eingelegt und die Berufung am 15.10.2014 begründet.
Die Beklagte wendet ein, die Auffassung des Arbeitsgerichts sei rechtsirrig. § 41 SGB VI mache nur bei Individualvereinbarungen Sinn. Es könne nicht sein, dass bei einem anderen Verständnis ständig erneuerte tarifliche Vereinbarungen jeweils als Bestätigung...