Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswidrige Zwangsverrentung eines schwerbehinderten Packers aufgrund nichtiger Tarifregelung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei möglicher Inanspruchnahme einer abschlagsfreien Altersrente. Rechtzeitige Befristungskontrollklage nach Umstellung des allgemeinen Feststellungsantrags in der Berufungsinstanz
Leitsatz (redaktionell)
1. Befristungen von Arbeitsverhältnissen, die durch tarifliche Regelungen begründet wurden, sind mit einer Befristungskontrollklage und nicht mit einer allgemeinen Feststellungsklage anzugreifen; die Umstellung des Klageantrags ist keine nach § 533 ZPO zu prüfende Klageänderung sondern beinhaltet lediglich eine Einschränkung des Klagebegehrens gemäß § 264 Nr. 2 ZPO.
2. Erfolgt die Umstellung eines allgemeinen Feststellungsantrags auf einen Befristungskontrollantrag erst in der Berufungsinstanz und weit nach Ablauf der dreiwöchigen Frist des § 17 Satz 1 TzBfG, liegt darin keine verspätete Klageerhebung, wenn der Kläger von Anfang an geltend macht, dass eine Beendigung aufgrund tarifvertraglicher Regelung nicht eingetreten ist, und damit für die Beklagte unter Wahrung der Frist des § 17 Satz 1 TzBfG erkennbar ist, dass der Kläger eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses auf dieser Grundlage nicht hinnehmen will.
3. Die Regelung eines Zusatztarifvertrages zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichung der jeweiligen Altersgrenze ("Für die Arbeitnehmer/innen der Firma H. GmbH endet das Arbeitsverhältnis spätestens mit dem Ablauf des Monats, in dem er/sie die jeweilige Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht oder in dem er/sie Anspruch auf eine ungekürzte gesetzliche Altersrente hat, ohne dass es einer Kündigung bedarf.") ist derart auszulegen, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei abschlagsfreier Inanspruchnahmemöglichkeit jeglicher gesetzlicher Altersrente eintreten soll; mit diesem Inhalt richtet sich die Tarifregelung gegen die Wahlfreiheit der Beschäftigten (§ 41 Satz 2 SGB VI) und ermöglicht im Sinne einer "Zwangsverrentung" vor Eintritt der Regelaltersrente auch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer mit Erreichen des 63. Lebensjahres eine (abschlagsfreie) Altersrente gemäß § 236a Abs. 1 SGB VI in Anspruch nehmen kann.
3. Eine tarifliche Regelung, die zur einer Umgehung von § 41 Satz 2 SGB VI führt, ist unwirksam und kann nicht zur Rechtfertigung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses herangezogen werden.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 1, 4, § 17 S. 1; SGB VI § 41 S. 2, § 236a Abs. 1; ZPO § 264 Nr. 2, § 533
Verfahrensgang
ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 08.05.2014; Aktenzeichen 1 Ca 118/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 08.05.2014 (1 Ca 118/14) abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung gem. § 10 des Zusatztarifvertrages Hofmann Menü Manufaktur GmbH zum 30.06.2014 beendet wurde.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer tariflichen Altersgrenzenregelung beendet wurde.
Der am XXX 1951 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 01.03.2000 beschäftigt als Mitarbeiter im Packraum auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26.01.2000 (Bl. 67-67R der LAG-Akte). In diesem Arbeitsvertrag heißt es unter Ziffer 4:
"4. Besondere Vereinbarungen:
.........
Im Übrigen finden auf das Arbeitsverhältnis die für die Firma geltenden Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsordnung Anwendung, die in der Personalabteilung jederzeit eingesehen werden können.
.........."
Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt und könnte aufgrund der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg vom 20.01.2014 (Bl. 20 der arbeitsgerichtlichen Akte) mit Rentenbeginn XXX.2014 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschläge beziehen. Die Altersrente würde monatlich 979,69 EUR betragen. Eine Regelaltersrente könnte er erst ab XXX 2016 (65 Jahre und 5 Monate) beziehen. Diese würde hochgerechnet 1.017,82 EUR betragen.
Die Beklagte schloss mit der Gewerkschaft NGG am 07.10.2005 einen "Zusatztarifvertrag" (nachfolgend: Zusatz-TV) genannten Haustarifvertrag. In diesem Zusatz-TV heißt es unter § 10:
"§ 10 Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Für die Arbeitnehmer/innen der Firma H. GmbH endet das Arbeitsverhältnis spätestens mit dem Ablauf des Monats, in dem er/sie die jeweilige Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung erreicht oder in dem er/sie Anspruch auf eine ungekürzte gesetzliche Altersrente hat, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
.........."
Aufgrund von Neuverhandlungen schlossen die Beklagte und die NGG am 28.06.2013 erneut einen Zusatz-TV (Bl. 48-50R der LAG-Akte) mit wortgleicher Regelung in § 10.
Die Beklagte teil...