Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen mangels Anhörung des Betriebsrats
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG entbindet den Arbeitgeber nicht von der Anhörung des Betriebsrats zu konkret auszusprechenden Kündigungen.
2. Die Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 23.07.2019; Aktenzeichen 4 Ca 202/19) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 23.07.2019 - 4 Ca 202/19 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung.
Der 41 Jahre alte, ledige Kläger war seit dem 01.06.2013 als Anlagen- und Maschinenbediener bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte zuletzt eine durchschnittliche monatliche Vergütung i.H.v. 4.069,89 Euro brutto.
Die Beklagte betreibt einen Zulieferbetrieb für Automobilhersteller. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein Betriebsrat.
Hauptauftraggeberin der Beklagten war bis zum 31.03.2019 die VW-Gruppe. Für diese entwickelte und produzierte die Beklagte eine besonders leichte Hintersitzlehnenstruktur ebenso wie spezielle Sitzwannen. Ca. 75 Prozent der Produktionsmitarbeiter waren mit Aufträgen für die VW-Gruppe beschäftigt. Auch die Umsätze mit der VW Gruppe betrugen mehr als 75 Prozent der Gesamtumsätze. Die VW-Gruppe kündigte ihre gesamte Geschäftsbeziehung zur Beklagten zum 31.03.2019. Über die Verschiebung des Kündigungstermins verhielt sich ein gerichtliches Verfahren.
Nach Einladung des Betriebsrates und Wirtschaftsausschusses sowie der Schwerbehindertenvertretung zu einer ersten Information am 24.09.2019 übersandte die Beklagte nach ihrer Behauptung mit E-Mail vom 05.10.2018 dem Betriebsrat einen Entwurf eines Interessenausgleichs mit drei Anlagen, bestehend aus Organigramm alt, Organigramm neu und Maßnahmeliste, für weitere Verhandlungen.
Der Entwurf des Interessenausgleichs enthielt unter Z. III.5 ff. Regelung:
"5. Kündigungsanhörungen
die Arbeitnehmerin hat gegenüber dem Betriebsrat die Anhörungsverfahren zu den beabsichtigten Kündigungen der betroffenen Arbeitnehmer, der die in der Maßnahmeliste (Anlage 3) namentlich gesondert genannt sind, am .. eingeleitet. Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat sind sich einig, dass der Betriebsrat die für betriebsbedingte Kündigungen der betroffenen Arbeitnehmer erforderlichen Informationen erhalten hat, die Arbeitnehmer in der anliegenden Maßnahmeliste mit der richtigen für sie in Betracht kommenden Maßnahme bezeichnet sind (Änderungskündigungen mit Ä und Beendigungskündigungen mit k), die Arbeitgeberin die nach §§ 102 ff. BetrVG erforderlichen Informationen dem Betriebsrat erteilt sind und der Betriebsrat dazu vollständig angehört ist und die dort genannten personellen Maßnahmen erforderlich sind. Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat sind sich einig und stellen ausdrücklich klar, dass die dieser Vereinbarung beigefügten Anlagen keine Namenslisten i.S des § 1 Abs. 5 KSchG darstellen."
Nach Durchführung einer Sitzung am 16.10.2018 und vergeblichem gemeinsamen Versuch, einen weiteren Verhandlungstermin zu finden, leitete die Beklagte am 18.10.2018 vor dem Arbeitsgericht Hagen im Verfahren 2 BV 19 / 18 ein Einigungsstelleneinsetzungsverfahren ein. Die Einigungsstelle wurde mit Beschluss vom 02.11.2018 eingesetzt, die vom Betriebsrat hiergegen eingelegte Beschwerde wurde durch das Landesarbeitsgericht Hamm im Verfahren 13 TaBV 80/18 mit Beschluss vom 07.12.2018 zurückgewiesen.
Weitere innerbetriebliche Verhandlungen fanden am 22.10.2018, 07.11.2018 und am 22.11.2018 ergebnislos statt.
Bereits unter dem 02.11.2018 hatte die Beklagte dem Betriebsrat eine "Unterrichtung nach § 17 KSchG" übermittelt mit dem Hinweis, dass grundsätzlich spätestens im November gekündigt werden solle.
Am 15.01.2019 fand sodann eine erste Sitzung der Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans statt. Hierzu hatte die Beklagte nach ihrer Behauptung unter dem 11.01.2019 dem Betriebsrat mit einem Anschreiben einen weiteren Entwurf zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit einem Anschreiben übermittelt. Die übermittelten Anlagen waren überschrieben mit "Gesamtpersonalliste mit allen Informationen nach §§102, 111 BetrVG und 15, 17 KSchG für die personellen Maßnahmen (ordentliche und außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist), die ab Ende Januar 2019 innerhalb von 30 Tagen (soweit Schwerbehinderte oder ihnen Gleichgestellte betroffen sind oder Elternzeitler allerdings erst nach Vorlage der behördlichen Zustimmung) erfolgen sollen".
Der Entwurf zum Interessenausgleich enthielt unter III.5 mit Ausnahme des Satzes 1 eine ide...