Entscheidungsstichwort (Thema)

Anpassungsprüfung. Verbraucherpreisindex. Lebenshaltungskostenindex. nachträgliche Anpassung. schriftliche Mitteilung der wirtschaftlichen Lage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Um die Fiktionswirkung des § 16 Abs. 4 Satz 2 BetrVG auszulösen bedarf es einer Darstellung, die es dem Versorgungsempfänger ermöglicht, die Anpassungsentscheidung – ggf. unter Hinzuziehung eines Dritten – nachzuvollziehen.

2. Dem Arbeitgeber sind subjektive Elemente der Entscheidung und konsequent auch der Mitteilung zuzugestehen.

3. Erforderlich ist ein derartiger Konkretisierungsgrad der als Grundlage der Anpassungsentscheidung mitgeteilten Einzeltatsachen, dass diese im Hinblick auf das Ergebnis einer Beurteilung auf ihre Überzeugungskraft zugänglich sind. Welche dies mit welchem Konkretisierungsgrad sind, lässt sich nicht allgemein, sondern lediglich anhand der Umstände des Einzelfalls bestimmen.

4. Der Anpassungsbedarf ist für die Zeit bis incl. 31.12.2002 anhand des Lebenshaltungskostenindex für 4 Personen Haushalte mittleren Einkommens und danach nach dem Verbraucherpreisindex (VPI) getrennt zu berechnen.

5. Der Anpassungsbedarf für Zeiträume unter Geltung des VPI ab dem 01.01.2003 ist nicht stets insgesamt anhand des in fünfjährigen Abständen aktualisierten VPI in der zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz geltenden Fassung zu ermitteln.

§ 16 Abs. 1 BetrAVG verlangt die Prüfung, ob ein Anpassungsbedarf wegen der Änderung der Verhältnisse, u.a. der Preisentwicklung, im Anpassungsprüfungszeitraum entstanden ist. Dies ist anhand der in diesem Zeitraum bestehenden Verhältnisse zu beurteilen. Damit ist der VPI maßgeblich, dessen Warenkorb und Wägungsschema die in dem Anpassungsprüfungszeitraum geltenden Verhältnisse abbildet. Die rein rechnerische Bildung von zeitlich weit zurückreichenden Reihen des jeweils aktuellen VPI genügt dem nicht.

 

Normenkette

BetrAVG § 16 Abs. 1, 4 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 07.10.2008; Aktenzeichen 1 Ca 857/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.10.2011; Aktenzeichen 3 AZR 732/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 07.10.2008, Az. 1 Ca 857/08, teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.271,70 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf je 42,39 EUR seit dem 02. eines jeden Monats, erstmals seit dem Monat Juli 2006 und endend mit dem Monat Dezember 2008 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger über den monatlichen Betrag der Werksrente von 1.114,04 EUR brutto hinaus ab Januar 2009 monatlich weitere 42,39 EUR brutto Werksrente zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 3/10, die Beklagte zu 7/10, die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 17 %, die Beklagte zu 83 %.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Anpassung von Versorgungsleistungen der betrieblichen Altersversorgung.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein regional tätiges Energieversorgungsunternehmen (EVU), hervorgegangen aus der E1 AG – kommunales Elektrizitätswerk –. Der Kläger war bei der Beklagten als Tarifangestellter (Maschinenbau-Techniker) langjährig tätig. Er bezieht seit dem 01.02.2002 eine Betriebsrente in Höhe von zunächst 1.086,87 EUR brutto von der Beklagten, deren Einzelheiten aus der Berechnung der Beklagten vom 23.01.2002 (Bl. 12 d.A.) ersichtlich sind.

Die Beklagte ist nicht nur mit eigenen Beschäftigten als EVU am Markt tätig, sondern bildet zugleich eine Konzernobergesellschaft. So übernahm die Beklagte zum 01.12.2001 vollständig die Stadtwerke H1 AG, wandelte diese in die Stadtwerke H1 GmbH um und ist mit dieser durch Unternehmenspachtverträge sowie Gewinnabführungsverträge verbunden. Zum 01.01.2006 wurde die Beklagte ihrerseits in den am 21.06.2006 gegründeten S6-Konzern eingebracht, wozu die Beklagte im erstinstanzlichen Kammertermin vom 07.10.2008 mündlich erläutert hat, dass die Einbringung der Beklagten vertraglich unter der Bedingung der Eintragung in die maßgeblichen Register stand, also aus ihrer Sicht jedenfalls nicht auf ein Datum vor dem 01.07.2006 anzusetzen sei.

Anlässlich der seinerzeitigen Übernahme der Stadtwerke H1 durch die Beklagte schlossen die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, die E1 AG und die Stadtwerke H1 AG mit der ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. einen Tarifvertrag über die Zusammenführung der Versorgungsbereiche vom 20.09.2001. Dieser Tarifvertrag regelt unter anderem in § 7 Abs. 2:

„Für die bis zum 31.12.1992 bei E1 AG eingetretenen Mitarbeiter sieht die VO 1976 in ihrem § 14 eine Anpassung der Werkspension vor. Die bei Eintritt des Versorgungsfalles nach den Bestimmungen des § 9 der VO 1976 ermittelte Werkspension (Gesamtversorgung) wird bei einer tarifvertraglich vereinbarten Änderung der Vergütungstabelle im gleichen Verhältnis angepasst...

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