Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen sexueller Handlungen. Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung wegen fehlender Abmahnung. Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Drohung gegen den Arbeitgeber. Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen prozessualem Verhalten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung wegen des Vorwurfs sexueller Handlungen sind unwirksam, da eine Abmahnung nicht ausgesprochen wurde, diese aufgrund der Gesamtumstände aber erforderlich gewesen wäre.

2. Sexuelle Belästigungen begründen keinen Automatismus für die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

3. Das Arbeitsverhältnis ist auf Antrag des Arbeitgebers aufzulösen, wenn eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar ist. Das ist dann der Fall, wenn nach erfolgreichem erstinstanzlichen Urteil der Arbeitnehmer dem Geschäftsführer des Arbeitgebers mit der Veröffentlichung von Dokumenten droht.

 

Normenkette

AGG § 3 Abs. 4, § 7 Abs. 1, § 12 Abs. 3; KSchG § 9 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Bocholt (Entscheidung vom 19.02.2021; Aktenzeichen 2 Ca 900/20)

ArbG Bocholt (Entscheidung vom 23.04.2021; Aktenzeichen 2 Ca 900/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 19.02.2021/23.04.2021, 2 Ca 900/20, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und der Tenor zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 16.06.2020 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Auf Antrag der Beklagten wird das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2020 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 80.000 EUR brutto aufgelöst.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung sowie hilfsweise einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.04.2018 als technischer Leiter der Geschäftsbereiche 2 und 3 zu einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 10.600 EUR zzgl. eines Tantiemeanspruchs beschäftigt. Wegen des Arbeitsvertrages, der u.a. in Ziff. 12 eine vertragliche Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende vorsieht, wird auf Bl. 25 ff. der Akte Bezug genommen.

Am 14.05.2020 wurde der Kläger zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten und deren Personalleiter gebeten, in dem es um Vorwürfe sexueller Belästigung ging, dessen Einzelheiten zwischen den Parteien jedoch streitig sind. Der Kläger wurde freigestellt. Am 19.05.2020 fand ein weiteres Personalgespräch statt.

Mit Schreiben vom 28.05.2020, wegen dessen vollständigen Wortlauts auf Bl. 81-85 d. A. Bezug genommen wird, hörte die Beklagte den Kläger zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen an. Zusammenfassend werfen die drei Mitarbeiterinnen der Beklagten dem Kläger Folgendes vor:

Die Mitarbeiterin A. behauptete, der Kläger habe ihr seit Frühjahr 2018 immer wieder die Schulter getätschelt und sich häufig körperlich so sehr genähert, dass sie versuchen musste, auszuweichen. Anlässlich von Besprechungen in seinem Büro hätte er sie mehrfach aufgefordert, sich auf einen Stuhl neben ihn zu setzen, um ihr etwas am PC zu zeigen und sie dabei mehrfach am Oberschenkel berührt. Er hätte sie gebeten, auf seinem Schoß Platz zu nehmen. Auch hätte er sie drei Mal umarmt und ihr hierbei an das Gesäß gefasst. Zudem hätte er anlässlich eines Gespräches den Wunsch geäußert, mit ihr in die Sauna zu gehen. Anfang 2020 hätte der Kläger sie zunächst ignoriert und - darauf angesprochen - geäußert, sie habe ihm falsche Hoffnungen gemacht und etwas vorgespielt. Zudem hätte er sie im März 2020, als sie ihn über ihre Schwangerschaft informiert habe, gefragt, ob es sich um ein Wunschkind oder einen Unfall handle.

Die Mitarbeiterin B. schilderte ebenfalls, der Kläger hätte sie immer wieder zu Besprechungen in sein Büro gebeten und aufgefordert, neben ihr Platz zu nehmen. Dabei hätte er sich sehr genähert, so dass sie versucht hätte, auszuweichen. Wenn sie Kleider oder Röcke getragen hätte, sei sie von ihm bedrängend angestarrt worden und hätte versucht, einen Sichtschutz zu errichten. Auch hätte er sie immer wieder auf ihre Kleidung angesprochen.

Die Mitarbeiterin C. schließlich trug ähnlich vor, seit März 2017 wäre der Kläger immer wieder in ihr Büro gekommen, um ihr etwas am PC zu zeigen. Dabei hätte er sich so nah neben sie gestellt, dass sie versucht hätte, auszuweichen. Auch hätte er sie zu Besprechungen in sein Büro gebeten und sie aufgefordert, auf einem Stuhl neben sich Platz zu nehmen. Hierbei hätte er sie häufig am Arm, der Schulter oder am Oberschenkel berührt. Im Mai oder Juni 2017 hätte er nach einer Kaffeepause plötzlich seinen Arm um ihre Schulter gelegt und gefragt, wann sie sich privat träfen. Nachdem sie dieses Ansinnen abgelehnt hätte, sei sie vom Kläger zunächst ign...

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