Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 KSchG Hier: Zum Gestaltungsspielraum der Betriebsparteien bei der Vergleichsgruppenbildung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ebenso wie bei der Schaffung des § 125 InsO hat der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 5 KSchG versucht, unter Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen, dem Sanierungsbedürfnis durch eine Kollektivierung des Kündigungsschutzes Rechnung zu tragen. Es ist daher von dem Regelfall auszugehen, dass der Betriebsrat seine Verantwortung gegenüber den von ihm repräsentierten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wahrnimmt und bei unvermeidbaren Entlassungen darauf achtet, dass bei der Auswahl der ausscheidenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt werden.

2. Den Betriebsparteien wird ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, denn die eingeschränkte Möglichkeit der Überprüfung der sozialen Auswahl erstreckt sich nicht nur auf die Gewichtung der in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten sozialen Kriterien, sondern auf den gesamten Komplex der sozialen Auswahl und damit auch auf die Vergleichsgruppenbildung, ohne die eine soziale Auswahl nicht durchgeführt werden kann. Die in Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse vorgenommene Vergleichsgruppenbildung ist nur dann grob fehlerhaft, wenn bei der Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist und es an sachlich nachvollziehbaren, plausiblen Differenzierungsgründen fehlt.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3 Sätze 1, 3, Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Rheine (Urteil vom 12.03.2009; Aktenzeichen 2 Ca 1531/08)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 12.03.2009 – 2 Ca 1531/08 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der von der Insolvenzschuldnerin auf der Grundlage des mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs mit Namensliste vom 13.08.2008 ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 18.09.2008 zum 31.03.2009.

Der heute 48-jährige Kläger, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, war bei der Firma K1-R1 GmbH & Co. KG seit dem 02.05.1991 zuletzt als Mitarbeiter der Materialwirtschaft gegen eine monatliche Vergütung von 2.550,00 EUR brutto tätig.

Der Kläger ist aufgrund eines im Jahre 1996 erlittenen Verkehrsunfalls querschnittsgelähmt und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Er ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt mit einem Grad der Behinderung von 100. Der Kläger konnte trotz seiner Behinderung als Materialverwalter I im vorgezogenen Wareneingang weiterbeschäftigt werden.

Aufgrund der mit dem Betriebsrat vereinbarten Betriebsänderung entfallen in der künftig vorgesehenen Firmenstruktur die Arbeitsplätze Materialverwalter I aus den Bereichen vorgezogener Wareneingang und Fahrzeugversand komplett. Im Bereich der Materialverwaltung verbleiben gemäß Anlagen 4 zum Interessenausgleich mit Namensliste (Bl. 244 – 247 GA) lediglich 12 Arbeitsplätze. Nach Auffassung der Betriebsparteien ist die Vergleichsgruppe Materialverwalter I aus den Bereichen vorgezogener Wareneingang oder Fahrzeugversand in der neuen Struktur nicht mehr enthalten (Bl. 195 GA).

Der Kläger hat die soziale Auswahl als grob fehlerhaft gerügt, weil es nicht gerechtfertigt sei, zwischen den in der künftigen Firmenstruktur verbleibenden Materialverwaltern I einerseits und den Materialverwaltern I ohne vorgezogenen Wareneingang/Fahrzeugversand andererseits zu unterscheiden. Da er auf 84,5 Sozialpunkte komme, hätten die in der zukünftigen Planstelle L9 weiterbeschäftigten Arbeitnehmer P1 und weitere 11 namentlich benannte Arbeitnehmer entlassen werden müssen (Bl. 444 GA).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 12.03.2009 antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 18.09.2008 nicht aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, weil der Kläger der dem Interessenausgleich beigefügten Namensliste namentlich bezeichnet worden sei, sei die Betriebsbedingtheit der Kündigung gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu vermuten. Trotz der eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit der sozialen Auswahl sei diese aufgrund der vorgenommenen Vergleichsgruppenbildung grob fehlerhaft. Die Anforderungen an die Arbeitsplätze Materialverwalter I im vorgezogenen Wareneingang bzw. im Fahrzeugversand unterschieden sich nicht erkennbar von denen der Materialverwalter I außer vorgezogenem Wareneingang oder Fahrzeugversand. Es handele sich insgesamt um einfache kaufmännische Tätigkeiten. Es sei nicht erkennbar, woraus sich das Erfordernis besonderer Kenntnisse oder Erfahrungen ergeben solle, um die jeweilige Einzeltätigkeit erlernen zu können. Es sei a...

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