Entscheidungsstichwort (Thema)
Zukunftstarifvertrag verdrängt Lohntarifvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Der Zukunftstarifvertrag verdrängt innerhalb derselben Branche anderweitige tarifliche Regelungen wie z.B. den Lohntarifvertrag.
Bei der Auslegung von Verweisungsklauseln und ihrer möglichen Dynamik sind die Regelungen der §§ 133, 157 BGB anzuwenden.
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Entscheidung vom 03.05.2017; Aktenzeichen 3 Ca 1788/16) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.05.2017 - 3 Ca 1788/16 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits insgesamt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger tarifgerecht zu vergüten und die tarifliche Sonderzahlung für 2016 in ungekürzter Höhe zu erbringen.
Der Kläger ist seit dem 17.03.2004 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist Mitglied bei der Gewerkschaft ver.di.
Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 19.05.2004 (Bl. 6, 7 d. A.) zugrunde. In Nr. 3 des Arbeitsvertrags findet sich folgende Regelung:
Auf das Arbeitsverhältnis finden die jeweils geltenden Tarifverträge des Einzelhandels, die Gesamtbetriebsvereinbarungen beziehungsweise Betriebsvereinbarungen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.
In Nr. 5 des Arbeitsvertrags vereinbarten die Parteien ein Bruttoentgelt von 2248,00 Euro mit folgendem Zusatz:
Tarifentgelt: Euro 2248,00
Tarifgruppe: L III d im 2. Berufs-/Tätigkeitsjahr,
Stufungsdatum: 17.03.2003.
Der über das Tarifentgelt hinausgehende und nicht ausdrücklich als nicht anrechenbar bezeichnete Betrag ist eine freiwillige Leistung von S - und kann auf Erhöhung des Tarifentgeltes angerechnet werden.
Nach Nr. 4 des Arbeitsvertrags richtete sich die wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeittätigkeit nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag. Nach Nr. 7 des Arbeitsvertrages bestimmt sich der Erholungsurlaub des Klägers nach den jeweiligen tariflichen Regelungen. In Nr. 15 des Arbeitsvertrages verwiesen die Parteien hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen auf die jeweilige tarifliche Ausschlussfrist.
Bis Juni 2015 unterlag die Beklagte kraft Verbandsmitgliedschaft einer Bindung an die Flächentarifverträge der Arbeitgeberverbände, so auch in Nordrhein-Westfalen. Sie kündigte ihre Mitgliedschaften und ist seit dem 17.06.2017 lediglich Verbandsmitglied ohne Tarifbindung.
Am 29.07.2016 schlossen die N AG und die Beklagte mit ver.di einen Zukunftstarifvertrag (Bl. 11- 16 d. A.). In diesem heißt es unter anderem:
"§ 2
Anerkennung der Tarifverträge des Einzelhandels
(1) Alle gültigen (einschließlich nachwirkenden) regionalen Tarifverträge des Einzelhandels werden von S- anerkannt. Diese Tarifverträge gelten dynamisch, also für den jeweiligen räumlichen Geltungsbereich in ihrer jeweiligen Fassung und mit ihrem jeweiligen Rechtsstatus.
(2) Ausnahmen von der Anerkennung nach Abs. 1 sind in diesem Tarifvertrag abschließend vereinbart.
(3) Werden Tarifverträge oder Teile von ihnen gekündigt, gelten sie auch zwischen den Parteien dieses Anerkennungstarifvertrages als gekündigt.
§ 3
Ausnahmen von der Geltung der Flächentarifverträge
(1) Die Parteien vereinbaren folgende Abweichungen von den Regelungen in den Flächentarifverträgen:
1. Die Tarifentgelterhöhungen werden für die Jahre 2015, 2016, 2017 nicht gezahlt.
2. Für die Kalenderjahre 2017 bis einschließlich 2019 werden die aus den tariflichen Bestimmungen entstehenden Ansprüche auf Zahlung von Urlaubsgeld befristet reduziert auf 40%. Die Berechnung des Anspruchs erfolgt auf der Basis der jeweiligen Entgelttabellen der Flächentarifverträge.
3. Für die Kalenderjahre 2016 bis einschließlich 2018 werden die aus den tariflichen Bestimmungen entstehenden Ansprüche auf Zahlung einer tariflichen Sonderzuwendung ("Weihnachtsgeld") befristet reduziert auf 40%; im Kalenderjahr 2019 wird die tarifliche Sonderzuwendung auf 70% reduziert. Die Berechnung des Anspruchs erfolgt auf der Basis des individuell dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zustehenden Tarifentgelts.
...
Bis einschließlich Juli 2016 zahlte die Beklagte dem Kläger den Tariflohn aus der Lohngruppe III d) des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel vom 18.08.2015, geschlossen von dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen e. V. und ver.di.
Mit Wirkung zum 01.08.2016 verringerte sie seinen Lohn auf 2724,00 Euro brutto.
Mit Schreiben vom 09.09.2016 (Bl. 24, 25 d. A.) vertrat der Kläger die Auffassung, der Lohntarifvertrag für den Einzelhandel in NRW sei in seiner jeweils gültigen Fassung weiterhin auf sein Arbeitsverhältnis anwendbar. Er forderte die Zahlung eines Differenzbetrags von 124 Euro für August 2016.
Mit Schreiben vom 26.09.2016 (Bl. 26 d. A.) verwies die Beklagte auf den Zukunftstarifvertrag, der die Weitergabe der Tarifentgelterhöhungen für die Jahre 2015 bis 2017 ausschließe.
Mit seiner am 18.11.2016 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Klage, die er im Laufe des Verfahrens ...