Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligung von Arbeitnehmern wegen einer Schwerbehinderung durch die Abfindungsregelung in einem Sozialtarifvertrag

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Abfindungsregelung in einem Sozialtarifvertrag, wonach sich für einen schwerbehinderten Arbeitnehmer ein niedrigerer Abfindungsanspruch als für einen nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer errechnet, weil der schwerbehinderte Arbeitnehmer bereits vor Vollendung des 63. Lebensjahres die Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen kann, stellt eine nicht gerechtfertigte mittelbare Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung dar.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3, 7

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 26.08.2015; Aktenzeichen 3 Ca 651/15)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Bochum vom 26.08.2015 - 3 Ca 651/15 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Zahlungsverurteilung ohne den Zusatz "netto" erfolgt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger beansprucht eine höhere Abfindung mit der Begründung, die Regelung zur Berechnung der Abfindung im Sozialtarifvertrag bzw. Sozialplan aus dem Jahr 2014 benachteilige ihn ungerechtfertigt wegen seiner Schwerbehinderung.

Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Mit Ablauf des 31.12.2014 schied er auf der Grundlage eines dreiseitigen Vertrags aus betriebsbedingten Gründen aus dem langjährig bestehenden Arbeitsverhältnis zu der Beklagten aus (Präambel des dreiseitigen Vertrags: "Aufgrund der Stilllegung des Werkes C zum 31.12.2014"). Der dreiseitige Vertrag aus August/September 2014 weist in § 1 einen bezifferten "einmaligen Abfindungsbetrag" zugunsten des Klägers aus "als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes nach Maßgabe der Ziffer C. 2.6 und 2.3a des Sozialtarifvertrages/ Sozialplans in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG, §§ 24, 34 EStG" (vollständige Kopie des dreiseitigen Vertrags in der Gerichtsakte). Die individuellen Daten des Klägers dieses Rechtsstreits sind:

Geburtsdatum Kläger

1959

GdB

50

Betriebszugehörigkeit seit

01.09.1975

Bruttomonatsentgelt

3.224,52 €

Abfindung (dreiseitiger Vertrag)

101.400,00 €

Renteneintritt bei Schwerbehinderung**

01.11.2020

Renteneintritt ohne Schwerbehinderung**

01.09.2022

Klageforderung: 36 Monate (9‚2019-8‚2022) x (1.448,54 € + 200,00 €)= 59.347,44 € abzgl. bereits berücksichtigter 23.079,56 € (s. Datenblatt) = 36.267,88 €

** frühestmöglicher Renteneintritt

Auf das zur Akte gereichte "Datenblatt zur Berechnung gemäß Sozialtarifvertrag ,C2.2.2.3a, 2.5 sowie 2.6. und 3.1.1'" wird Bezug genommen (Bl. 6 GA).

Die Beklagte hatte im Jahr 2013 beschlossen, den Produktionsstandort in C zu schließen. Das Werk II sollte zum 31.10.2013 und das Werk I zum 31.12.2014 geschlossen werden. Nach Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall wurde am 17.11.2013 von der Beklagten und der IG Metall ein Eckpunktepapier unterzeichnet, in dem es unter "V. Sozialplan / Transfergesellschaften" auszugsweise heißt (vollständige Kopie in der Gerichtsakte):

"(...)

Das Gesamtvolumen dieser Maßnahmen beträgt ausweislich dieser Anlage EUR 552 Mio. Das ist die absolute Obergrenze.

(...)"

Im Zuge der vollständigen Stilllegung des Betriebs in C schloss die Beklagte mit der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, einen Sozialtarifvertrag (STV), der am 12.06.2014 in Kraft trat (Sozialtarifvertrag zwischen der IG Metall - Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der P AG über die Schließung der Fahrzeugproduktion am Standort C vom 12.06.2014). Dort heißt es auszugsweise (vollständige Kopie in der Gerichtsakte):

"(...)

C. Sozialplan

1. Mobilitätsprämie bei Wechsel an einen anderen Standort

(...)

2. Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1959

2.1 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954

Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954 erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum 31.12.2014. Das Angebot beinhaltet die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung und kann je nach persönlichen Gegebenheiten auch den Eintritt in die Transfergesellschaft 1 vorsehen. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die TN Transfer beträgt maximal 12 Monate. Die Entgeltregelungen in der TN Transfer entsprechen denen der Altersgruppe Jahrgänge 1955 bis 1959.

2.2 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1955 bis 1959

Arbeitnehmer der Jahrgänge 1955 bis 1959 erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ebenfalls ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum 31.12.2014. Dies beinhaltet ebenfalls die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung sowie den Wechsel in die Transfergesellschaft 1. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die TN Transfer beträgt maximal 12 Monate.

2.3 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961 mit anerkanntem GdB von mind. 50 %

Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961, die aufgrund eines anerkannten GdB von mind. 50 % und bei Erfüllung aller sonstigen Bedingungen die vorzeitig...

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