Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Gutschrift von Stunden auf einem Arbeitszeitkonto. Beidseitige Bindung über einen Manteltarifvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Es kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine derartige Regelung zulässig wäre und nicht nach § 77 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen ist, soweit eine Beendigung der auf bis zu 40 Stunden verlängerten Vollzeit durch § 9.4 MTV abschließend und nicht betriebsvereinbarungsoffen geregelt ist. § 35.2 MTV enthält eine Regelung des beidseitig nicht zu vertretenden Arbeitsausfalls. Dessen Wortlaut setzt voraus, dass die Arbeit aus Gründen ruht, die weder vom Arbeitgeber noch vom Beschäftigten zu vertreten ist, wie Naturkatastrophen und außerbetrieblichen Energiestörungen. Diesbezüglich hat eine Abgrenzung des vom Arbeitgeber zu vertretenden Arbeitsausfalls i.S.d. § 35.1 MTV von dem Beschäftigten zu vertretenden Arbeitsausfall i.S.d. § 35.3 MTV zu erfolgen.
Normenkette
MTV § 35.2
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 07.09.2021; Aktenzeichen 5 Ca 615-21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 07. September 2021 - 5 Ca 615/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gutschrift von Stunden auf einem Arbeitszeitkonto.
Der Kläger steht seit dem 06. Januar 2004 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Er ist Mitglied der IG Metall NRW, die Beklagte ist Mitglied im Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V.. Das durchschnittliche Monatsbruttogehalt des Klägers beträgt 2.741,00 Euro. Die Nr. 2 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 30. November 2005 lautet auszugsweise wie folgt:
"2. Die Arbeitsbedingungen richten sich nach den jeweiligen tariflichen Bestimmungen in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens, soweit sie für die Firma verbindlich sind*), sowie nach den jeweiligen zwischen der Firma und dem Betriebsrat getroffenen Vereinbarungen. Die Regelungen in diesem Arbeitsvertrag können daher auch durch Betriebsvereinbarungen geändert werden."
Aufgrund einer Zusatzvereinbarung, die von den Parteien am 13. und 19. Dezember 2005 unterschrieben wurde, betrug die gemäß § 3 Nr. 3 MTV verlängerte individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden bis zum 31. August 2020. Nach der Zusatzvereinbarung kann die vereinbarte Arbeitszeit auf Wunsch des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten geändert werden, es sei denn, sie wird einvernehmlich früher geändert.
§ 9 Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 08. November 2018 (im folgenden MTV), geschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. und der IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen lautet auszugweise wie folgt:
"§ 9 Verlängerte Vollzeit
9.1 Vereinbarung
Soll für einzelne Beschäftigte die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden verlängert werden, bedarf dies der Zustimmung des/der Beschäftigten ("verlängerte Arbeitszeit")."
[...]
9.4 Rückkehr zur normalen Vollzeit
Die vereinbarte Arbeitszeit kann auf Wunsch des/der Beschäftigten oder Arbeitgebers mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten geändert werden, es sei denn, sie wird einvernehmlich früher geändert. Das Arbeitsentgelt wird entsprechend angepasst.
[...]
§ 35 Arbeitsausfall aus betrieblichen Gründen
[...]
35.2 Beidseitig nicht zu vertretender Arbeitsausfall
Muss die Arbeit aus Gründen ruhen, die weder Arbeitgeber noch Beschäftigte(r) zu vertreten haben, z.B. Naturkatastrophen, außerbetriebliche Energiestörungen (Gas, Wasser, Strom), so ist die begonnene Schicht zu vergüten, es sei denn, dass die Ausfallstunden unverzüglich - möglichst innerhalb zwei Wochen - nach der Beendigung der Arbeitsunterbrechung nachgearbeitet werden können; diese an Werktagen verfahrenen Arbeitsstunden sind zuschlagsfrei.
[...]
49.2 Ausschlussfristen für Beschäftigte
Beschäftigte haben das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:
a) Ansprüche auf Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Abrechnung,
b) alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit."
Zur Bekämpfung der Coronapandemie führte die Beklagten im Frühjahr 2020 geänderte Arbeitszeiten ein, um die Früh- und Mittagschichten voneinander zu trennen und dadurch Infektionen zwischen den beiden Schichten zu vermeiden.
Um dies zu regeln schloss die Beklagte drei Betriebsvereinbarungen mit ihrem Betriebsrat unter dem 16. März 2020, dem 10. Juni 2020 und dem 29. August 2020, auf die wegen ihrer Einzelheiten Bezug genommen wird. In diesen Betriebsvereinbarungen ist u.a. die Lage der betrieblichen Arbeitszeit niedergelegt. Gemäß § 2.1 der Betriebsvereinbarung vom 16. März 2020 betrug die betriebliche Arbeit...