Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlbewerber. Wahl. Betriebsrat. besonderer Kündigungsschutz. Sonderkündigungsschutz. Beginn. Aufstellung. Wahlvorschlag. Einreichung. Wahlvorstand
Leitsatz (amtlich)
Ein Wahlbewerber besitzt besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG in jedem Fall dann, wenn ein gültiger Wahlvorschlag beim Wahlvorstand eingereicht wurde. Es kommt nicht darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt die Betriebsratswahl durch Erlass des Wahlausschreibens bereits eingeleitet worden war.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 3 S. 1; BetrVG § 14 Abs. 4; WO § 3 Abs. 1 S. 2, § 6 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Herford (Urteil vom 21.07.2010; Aktenzeichen 2 Ca 302/10) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 21.07.2010 – 2 Ca 302/10 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung; u.a. geht es darum, ob der Kläger nach § 15 Abs. 3 KSchG Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber hat.
Der am 26.08.1984 geborene, verheiratete Kläger steht seit dem 01.09.2002 als gewerblicher Mitarbeiter zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt 1.870,– EUR in den Diensten der Beklagten. Diese gehört zur Zuliefererindustrie für die Küchenmöbelherstellung und produziert u.a. Besteckeinsätze, rutschfeste Matten und Dekofronten. Es werden ca. 140 Arbeitnehmer beschäftigt.
Der im Betrieb bestehende Betriebsrat bestellte im Zuge der turnusmäßigen Neuwahl am 07.01.2010 einen Wahlvorstand, was der Belegschaft am Folgetag per Aushang bekannt gemacht wurde. Am 15.03.2010 erließ dieser Wahlvorstand das Wahlausschreiben.
Knapp einen Monat zuvor am 18.02.2010 wurde unter dem Kennwort „Unser Team für Euch” eine Wahlvorschlagsliste erstellt, die auf Bl. 1 den Kläger als einen der insgesamt 18 Bewerber ausweist und auf einem zweiten Blatt 11 Stützunterschriften enthält (Bl. 5 f. d.A.). Ob diese Liste an dem genannten Tag beim Wahlvorstand eingegangen ist und eine feste Verbindung aufwies, war zwischen den Parteien erstinstanzlich streitig.
Wiederum knapp eine Woche davor am 12.02.2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Klägers an (Bl. 35 ff. d.A.). Nachdem dieser mit Schreiben vom 17.02.2010 seinen Widerspruch erklärt hatte (Bl. 198 ff. d.A.), sprach die Beklagte dem Kläger am 22.02.2010 die ordentliche Kündigung zum 31.03.2010 aus.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, schon der besondere Kündigungsschutz als Wahlbewerber führe zur Unwirksamkeit der Kündigung. Im Übrigen sei sie sozial ungerechtfertigt, denn entsprechend den ursprünglich mit dem Betriebsrat aufgenommenen Verhandlungen habe man als milderes Mittel die Einführung von Kurzarbeit wählen müssen; auch würden Leiharbeitnehmer beschäftigt. Davon abgesehen sei er im Rahmen der Sozialauswahl nicht nur mit den Maschinenersatzführern, sondern auch mit den Maschinenführern vergleichbar.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der beklagten Partei vom 22.02.2010 nicht aufgelöst wurde,
- im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als gewerblichen Arbeiter weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Meinung vertreten, es bestehe kein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber. § 15 Abs. 3 KSchG könne erst frühestens ab Erlass des Wahlausschreibens einschlägig sein.
Für die danach mögliche ordentliche Kündigung des Klägers beständen dringende betriebliche Erfordernisse. Entsprechend dem prozentualen Einsatz in der Produktion bestehe kein Bedarf mehr für insgesamt 10 Arbeitnehmer, davon acht Maschinenbediener und zwei Maschinenersatzführer.
Bei der produzierten KG-Menge als aussagekräftiges Spiegelbild der Arbeitsvolumina ergebe sich im Zeitraum von 2007 bis 2009 ein Rückgang um 12,3 %, während bei den produzierten Stücken sogar eine Einbuße von 16,6 % zu verzeichnen sei. Die Fakturierungsumsätze seien sogar um 22,7 % gesunken.
Bei den Auftragseingängen ergebe sich im Vergleich Januar 2007 zu Januar 2010 ein Rückgang um 19,4 %. Hinzu komme, dass ab dem Jahr 2010 fünf Kunden weggefallen seien, wodurch das Arbeitsvolumen um weitere 2,1 % reduziert würde. Bei einem weiteren Kunden sei wegen einer Programmumstellung der Rückgang der für diesen zu produzierenden KG-Mengen absehbar.
Bei der Gegenüberstellung der produzierten Kilogrammzahl und der Arbeitsstunden der Mitarbeiter ergebe sich bei 93 Arbeitnehmern im Jahre 2007, dass ein Mitarbeiter pro Stunde 23,57 kg produziert habe. Da trotz zu verzeichnender Rückgänge die Arbeitnehmerzahl – u.a. wegen der Ableistung von Kurzarbeit – in den Folgejahren konstant gebli...