Entscheidungsstichwort (Thema)
Restitutionsklage bei rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderung. Subsidiarität der Restitutionsklage. Beginn der Klagefrist
Leitsatz (amtlich)
1. Der Grundsatz der Subsidiarität der Restitutionsklage (§ 582 ZPO) und die dort vorausgesetzte Möglichkeit, den Restitutionsgrund durch Rechtsmittel im früheren Verfahren geltend zu machen, fordert vom Restitutionskläger nicht die Einlegung einer aussichtslosen Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Der Restitutionsgrund der rückwirkenden Anerkennung der Schwerbehinderung entsteht – vom Sonderfall des öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrages abgesehen – erst mit Zustellung des Anerkennungsbescheides. Die Kenntnis des Restitutionsklägers von der bevorstehenden Anerkennung aufgrund außergerichtlicher Einigung mit der Verwaltungsbehörde und die Möglichkeit, auf dieser Grundlage eine vorläufige Bescheinigung nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu erlangen, setzen die Klagefrist des § 586 ZPO noch nicht in Gang.
Normenkette
ZPO §§ 581-582, 586; SGB IX § 85
Verfahrensgang
ArbG Herne (Urteil vom 15.05.2007; Aktenzeichen 3 Ca 394/07) |
Tenor
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 21.02.2008 – 8 Sa 1061/07 – wird aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 15.05.2007 – 3 Ca 394/07 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 26.01.2007 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer am 17.06.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Restitutionsklage begehrt die zwischenzeitlich als schwerbehindert anerkannte Klägerin die Aufhebung der zuvor ergangenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, durch welche ihre Berufung gegen das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil im Kündigungsschutzverfahren Arbeitsgericht Herne 3 Ca 394/07 zurückgewiesen worden ist.
Die Klägerin hat sich im Ausgangsverfahren (ArbG Herne 3 Ca 394/07) gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch Kündigung des beklagten Insolvenzverwalters gewandt. Nach klageabweisendem Urteil des Arbeitsgerichts ist die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin durch das am 21.02.2008 verkündete und den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07.04.2008 zugestellte Urteil des Landesarbeitsgerichts zurückgewiesen worden (LAG Hamm 8 Sa 1061/07). Mit Bescheid vom 16.05.2008, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 20.05.2008, ist auf den Antrag der Klägerin vom 17.10.2006 der Grad der Behinderung rückwirkend ab Antragstellung mit 50 festgestellt worden. Dementsprechend macht die Klägerin geltend, die vom Beklagten unter dem 26.01.2007 ausgesprochene Kündigung scheitere an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21.02.2008, AZ: 8 Sa 1061/07, aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2007, zugegangen am 27.01.2007, zum 30.04.2007 nicht beendet worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt den Standpunkt, die Restitutionsklage sei als unzulässig anzusehen. Zum einen habe die Klägerin den hier geltend gemachten Restitutionsgrund bereits im Kündigungsschutzprozess im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen können. Nachdem nämlich der Kreis U2 unter dem 07.04.2008 der Klägerin das Regelungsangebot unterbreitet habe, den Grad der Behinderung antragsgemäß rückwirkend zum 17.10.2006 auf 50 festzusetzen und die Klägerin dieses Regelungsangebot mit Schreiben vom 24.04.2008 angenommen habe, sei der maßgebliche Restitutionsgrund bereits vor Rechtskraft des LAG-Urteils entstanden und habe somit schon im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden können. Zum anderen habe die Klägerin aus den dargestellten Gründen die Frist für die Erhebung der Restitutionsklage versäumt. Ausgehend vom Eintritt der Rechtskraft des LAG-Urteils am 07.05.2008 habe die Klägerin jedenfalls spätestens bis zum 07.06.2008 Restitutionsklage erheben müssen. Soweit die Klägerin demgegenüber auf die Zustellung des behördlichen Bescheides vom 16.05.2008 abstelle, sei dieser Zeitpunkt nicht maßgeblich. In Anbetracht der vorangehenden Einigung zwischen der Klägerin und dem Kreis U2 komme dem Bescheid vom 16.05.2008 keine konstitutive Bedeutung zu, vielmehr sei bereits mit dem Zustandekommen des Vergleichs die Feststellung getroffen worden, dass der GdB ab Antragstellung 50 betrage.
Entscheidungsgründe
Die Restitutionsklage der Klägerin ist zulässig und begründet.
I
Entgegen dem Rechtsstandpunkt des Beklagten bestehen gegen die Zulässigkeit der Restitutionsklage keine Bedenken.
1. Soweit der Beklagte auf die Subsidiarität der Restitutionsklage gemäß § 582 ZPO verweist und geltend macht, die Klägerin habe den Restitutionsgrund der rückwirkenden Anerkennung ihrer Schwerbehinderung im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen können, trif...