Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Günstigkeitsvergleich bei einander ablösenden Tarifverträgen. Zulässiger Eingriff in Versorgungsanwartschaften oder -leistungen durch Tarifvertrag. Tarifautonomie und inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Tarifparteien für ihre Tarifverträge. Kein dreistufiges Prüfungsschema bei tariflichen Eingriffen in Versorgungsleistungen oder -anwartschaften. Rückwirkende Tarifregelungen und Vertrauensschutz. Zulässige Ersetzung des Bezugs von Hausbrandkohle durch eine Energiebeihilfe durch tarifliche Regelung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Tarifvertragsparteien können jederzeit neue tarifliche Regelungen vereinbaren. Dieser Änderungsvorbehalt bestehender Regelungen ist Bestandteil der Tarifautonomie. Deshalb findet nach dem Ablösungsprinzip wegen des gleichen Ranges der Tarifverträge zueinander kein Günstigkeitsvergleich zwischen der bisherigen und der ablösenden Regelung statt.

2. Die Ersetzung des Bezugs von Hausbrandkohle durch eine Energiebeihilfe ist zwar ein Eingriff in eine Anwartschaft auf eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung, liegt aber innerhalb des Bewertungs- und Beurteilungsspielraums der Tarifvertragsparteien, sofern ein sachlich vertretbarer Grund für die getroffenen Neuregelung besteht.

3. Das dreistufige Prüfungsschema der Rechtsprechung bei Eingriffen in Versorgungsanwartschaften ist auf tarifvertragliche Regelungen nicht ohne weiteres übertragbar. Die Gerichte können nur prüfen, ob die Reglungen mit dem Grundgesetz, mit anderem höherrangigen Recht und mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes als Teil des Rechtsstaatsprinzips vereinbar sind.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3; BetrAVG § 3 Abs. 1, 5, § 4 Abs. 5, § 17 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Rheine (Entscheidung vom 23.03.2017; Aktenzeichen 4 Ca 1024/16)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 23.03.2017, Az. 4 Ca 1024/16, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten vorrangig um einen Anspruch des Klägers auf weitere Lieferung von Hausbrandkohlen und hilfsweise um höhere Abfindung für den Fortfall der laufenden Leistung. Dabei sieht der Kläger seine Ansprüche als betriebliche Altersversorgung besonders geschützt an.

Der 1952 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.09.1967 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit Ablauf des 30.11.1998. Seit einem dem unbekannten Zeitpunkt bezieht der Kläger gesetzliche Altersrente. Er erhält von der Beklagten 2,5 t Hausbrandkohlen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die jeweils für die Arbeitnehmer des Ibbenbürener Steinkohlenbergbaus geltenden Tarifverträge Anwendung. Die Beklagte ist Mitglied des Gesamtverbandes Steinkohle e.V.

Für Arbeiter war die Hausbrandleistung tariflich zunächst in dem Manteltarifvertrag für die Arbeiter des Ibbenbürener Steinkohlenbergbaus, gültig ab dem 1. September 1973, geregelt. Er enthielt in § 106 die Regelung, dass die Bezugsansprüche für Hausbrand vorbehaltlich späterer Regelungen entstehen. Dieser MTV für Arbeiter wurde mit Wirkung ab dem 1. Januar 1990 durch den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Ibbenbürener Steinkohlenbergbaus (im Folgenden: MTV) abgelöst.

Der MTV enthielt seit dem 1.7.2002 bis zum Ablauf des 30. April 2015 folgende Bestimmung:

"V. Hausbrand § 54

Die Hausbrandbezugsrechte richten sich nach den Bestimmungen der Anlage 7 dieses Manteltarifvertrages.

Sie gelten ausschließlich für:

- aktive Arbeiter und Angestellte

- vor dem 1. Juli 2002 aus dem Unternehmen ausgeschiedene Arbeiter und Angestellte und deren Witwen

- nach dem 1. Juli 2002 aus dem Unternehmen ausgeschiedene und zu diesem Stichtag mindestens 20 Jahre im deutschen Steinkohlenbergbau beschäftigte Arbeiter und Angestellte sowie deren Witwen."

In der Anlage 7 zum MTV wurden die Bestimmungen der jeweiligen früheren Manteltarifverträge für Arbeiter und Angestellte hinsichtlich der Hausbrandbezugsrechte zusammengeführt. Teil I betrifft den Hausbrandkohlenbezug für aktive Arbeiter und Angestellte. Teil II behandelt den Bezug für ausgeschiedene Arbeiter und Angestellte sowie deren Witwen. Die Anlage 7 zum MTV enthält in der bis zum Ablauf des 31.12.2018 gültigen Fassung vom 22. April 2010 u.a. folgende Regelungen:

"Anlage 7

zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Ibbenbürener Steinkohlenbergbaus in der Fassung vom 22. April 2010

Hausbrand

Anmerkung:

Die in den Abschnitten I. 1. und I. 2. hinter den Ziffern 1 bis 21 aufgeführten Paragraphen für aktive Arbeiter und Angestellte entsprechen den Paragraphen des bisherigen Manteltarifvertrages für Arbeiter sowie des Manteltarifvertrages für Angestellte (siehe Übersicht). Entsprechendes gilt für die in den Abschnitten II. 1. und II. 2. hinter den Ziffern 1 bis 14 aufgeführten Paragraphen für ausgeschiedene Arbeiter/Angestellte und deren Witwen.

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