Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleichsansprüche. Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Rangverhältnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen nach § 38 InsO und Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs 1 InsO ist der Tag der Insolvenzeröffnung entscheidend. Bei Nachteilsausgleichsansprüchen ist deshalb maßgeblich, ob mit der Durchführung einer Betriebsänderung der spätere Insolvenzschuldner noch vor der Insolvenzeröffnung oder der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung begonnen hat. Im ersten Fall liegen dann lediglich Insolvenzforderungen vor, im zweiten Fall hingegen Masseverbindlichkeiten.
2. Nachteilsausgleichsansprüche stellen im Fall von Masseunzulänglichkeit Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar, wenn der Insolvenzverwalter die Kündigungen bereits vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ausgesprochen hat. Sie sind hingegen Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wenn er die Kündigungen danach ausgesprochen hat.
3. Wird zunächst ein auf die Fortführung des Betriebs mit reduzierter Belegschaft ausgerichteter Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat geschlossen, liegt eine neue Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vor, wenn der Insolvenzverwalter sich später entschließt, den Betrieb vollständig stillzulegen.
Normenkette
BetrVG §§ 111-112, 113 Abs. 1, 3; KSchG § 10; InsO §§ 55, 122-123, 208, 209 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Urteil vom 11.09.2003; Aktenzeichen 1 Ca 1941/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.09.2003 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn – 1 Ca 1941/02 – wird wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass dem Kläger gegen die Insolvenzmasse als Nachteilsausgleich eine Abfindung in Höhe von 14.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2002 als Masseverbindlichkeit im Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zusteht, die der Beklagte in das Verzeichnis der Masseschulden aufzunehmen hat.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 28.000,00 EUR festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich nur noch um Nachteilsausgleichsansprüche.
Der Beklagte ist der durch Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 01.01.2001 (2 IN 136/00), zu bestellte Insolvenzverwalter über das Vermögen der t1xxxxxx i2xxxxxxxxxx m1xxxxxxxx AG aus P1xxxxxxx. Er hat den Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin zunächst in eingeschränktem Umfang fortgeführt, nachdem er aufgrund einer „Betriebsvereinbarung über ein Interessenausgleich” vom 08.01.2001 eine Massenentlassung durchgeführt hatte.
Am 27./29.05.2002 schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin eine „Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan”, in welchem unter Abschnitt I. auf den Interessenausgleich vom 08.01.2001 mit dem Bemerken Bezug genommen worden ist, dass „auf der Basis dieses Interessenausgleiches … in der nachfolgenden Zeit Personalanpassungsmaßnahmen durchgeführt worden” sind. Unter dem Abschnitt II. haben die Betriebsparteien sodann folgendes vereinbart:
Es war ursprünglich beabsichtigt, im Insolvenzverfahren auch gemäß § 123 InsO einen Sozialplan abzuschließen.
Da sich allerdings die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin in den letzten 6 Monaten dramatisch verschlechtert hat und gleichzeitig beabsichtigt ist, im Juni 2002 durch den Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan vorzulegen, der das Ziel verfolgt, das Unternehmen langfristig zu erhalten, stehen keinerlei liquide Mittel für einen Sozialplan zur Verfügung. Das Insolvenzplanverfahren ist allerdings die einzige aktuelle Möglichkeit, um die derzeit noch verbliebenen Arbeitsplätze – jedenfalls in ihrem wesentlichen Umfang – zu erhalten. Die zur Finanzierung des Insolvenzplans notwendigen Mittel können nur aus einer weiteren Kapitalerhöhung der Schuldnerin generiert werden. Diese Mittel werden sodann zur Bedienung der aktuellen Masseverbindlichkeiten gemäß §§ 54, 55 InsO sowie zur Zahlung einer Minimalquote für die Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO verwandt werden müssen. Ohne diese Verwendung, ist eine Zustimmung zum Insolvenzplan nicht zu erwarten. Dies wäre dann allerdings gleichbedeutend mit der Liquidation des Unternehmens.
Angesichts des vorstehend dargestellten Sachverhaltes wird aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und der Absicht, über das Insolvenzplanverfahren die Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze erhalten zu können, darauf verzichtet, einen Sozialplan aufzustellen. Dieser Verzicht orientiert sich an den Inhalten des § 112 Abs. V Satz 2 Nr. 3 BetrVG, nachdem durch einen Sozialplan der Fortbestand des Unternehmens nicht gefährdet werden soll.
Der Betriebsrat hat die vorgenannte Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan mit anwaltlichem Schreiben vom 20.01.2003 wegen Irrtums und wegen arglistiger Täuschung anfechten lassen. Zur...