Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Eigenkündigung. Anfechtungsgrund. widerrechtliche Drohung mit Kündigung. Manipulation bei der Zeiterfassung. Kausalität. Anfechtung wegen Irrtums. freie Willensbildung. psychische Ausnahmesituation
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Androhung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche oder auch nur ordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einen Aufhebungsvertrag abschließe, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt. Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist aber nur dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.
2. Nach § 123 Abs. 1 BGB muss die Drohung für die angefochtene Willenserklärung des Bedrohten ursächlich gewesen sein. Dabei genügt es grundsätzlich, dass die Drohung nach der Vorstellung des Drohenden mit ursächlich gewesen ist.
3. § 105 Abs. 2 BGB setzt einen Zustand voraus, in dem die freie Willensbildung nicht nur geschwächt oder gemindert, sondern völlig ausgeschlossen ist. Bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit durch andere schließen die Möglichkeit freier Willensbildung nicht aus.
Normenkette
BGB §§ 104-105, 119, 123, 142, 626; SGB IX §§ 85, 91
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Urteil vom 12.10.2010; Aktenzeichen 5 Ca 2380/09) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 12.10.2010 – 5 Ca 2380/09 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
Der am 06.07.1951 geborene Kläger ist verheiratet. Seit dem 11.05.1973 ist er bei der Beklagten als Maschinenbediener zu einem monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 3.500,00 EUR tätig.
Der Kläger ist seit längerer Zeit behindert mit einem Grad der Behinderung von 30. Seit dem 08.07.2010 ist ihm die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt worden. Im Jahre 1996 wurde der Kläger erstmalig in den bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats gewählt, der aus elf Personen besteht. Seit 1998 ist er stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und in dieser Funktion auch freigestellt. Gleichzeitig ist er Schwerbehindertenvertreter.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten war für die Dauer vom 01.08.2008 bis zum 31.07.2014 ein Altersteilzeitverhältnis vereinbart, das im Blockmodell geführt wurde. Die Arbeitsphase begann am 01.08.2008 und sollte bis zum 31.07.2011 andauern. Die Freistellungsphase war für den Zeitraum vom 01.08.2011 bis zum 31.07.2014 vorgesehen.
Weil der Kläger nach Auffassung der Beklagten in der Vergangenheit mehrfach das Betriebsgelände verlassen hatte, ohne die elektronische Zeiterfassung zu betätigen, beauftragte sie Anfang 2009 eine Detektei mit der Überwachung des Klägers. Die beauftragte Detektei erstellte am 29.05.2009 einen Observationsbericht (Bl. 229 ff d. A.), der einen Bericht über die Aktivitäten des Klägers im Zeitraum zwischen dem 18. und 20.05.2009 und dem 26., 28. und 29.05.2009 enthält. Nach dem Vorbringen der Beklagten erhielt diese den Observationsbericht am 05.06.2009.
Am 10.06.2009 unterrichtete die Beklagte den Betriebsratsvorsitzenden über die angeblichen Verfehlungen des Klägers im Zusammenhang mit der Betätigung der elektronischen Zeiterfassung.
Am 15.06.2009 fand daraufhin eine Besprechung zwischen dem Kläger, den Geschäftsführern H1 und L1 sowie dem Personalleiter der Beklagten, Herrn D1 statt, in der dem Kläger vorgehalten wurde, das Betriebsgelände ohne auszustempeln verlassen zu haben. Ob dabei der Observationsbericht vom 29.05.2009 von der Beklagten erwähnt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Streitig ist zwischen ihnen ebenfalls, ob der Kläger im Rahmen dieses Gespräches eingeräumt hat, den Betrieb wiederholt verlassen zu haben, um private Angelegenheiten zu erledigen. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass dem Kläger in diesem Gespräch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Aussicht gestellt und ihm das Angebot unterbreitet worden ist, eine Eigenkündigung auszusprechen. Der Kläger traf jedoch, auch nachdem er Rücksprache mit Vertretern der IG Metall gehalten hatte, im Rahmen des Gesprächs vom 15.06.2009 und auch im Anschluss daran keine sofortige Entscheidung.
Die Beklagte leitete daraufhin noch am 15.06.2009 das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat ein und bat mit Schreiben vom 15.06.2009 (Bl. 209 ff d. A.) unter Beifügung des Observationsberichtes vom 29.05.2009 den Betriebsrat um Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Klägers.
Nachdem dem Betriebsratsvorsitzenden das Anhörungsschreiben vom 15.06.2009 übergeben worden war, nahmen der Kläger und der Betriebsratsvorsitzende noch am 15.06.2009 zusammen Einsicht in das Anhörungsschreiben und den Observationsbericht.
Am 16.06.2009 fand vormittags nach Rücksprache des Betriebsratsvorsitzenden K2 mit dem Personalleiter D1 ein weitere...