Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste hat der Arbeitnehmer bei einer Betriebsveräußerung im Insolvenzverfahren eine „doppelte” Vermutung zu entkräften, nämlich

  • daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist (§ 128 Abs. 2 InsO) und
  • daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO).

2. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste kehrt sich im Kündigungsschutzprozeß, in dem der Insolvenzverwalter ansonsten gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG für das Vorliegen von dringenden betrieblichen Erfordernissen darlegungs- und beweispflichtig ist, die Darlegungs- und Beweislast um. Danach genügt es nicht, daß der Arbeitnehmer das Vorbringen des Arbeitgebers bloß erschüttert, sondern er muß hinsichtlich der gesetzlichen Vermutung den Gegenbeweis erbringen, diese also begründet widerlegen.

 

Normenkette

InsO § 125 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Rheine (Urteil vom 16.02.2003; Aktenzeichen 3 [2] Ca 1117/02)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 16.02.2003 (3 [2] Ca 1117/02) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 14.459,36 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Beklagten zu 1) und die über die Frage des Übergangs des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf den Beklagten zu 2).

Der am 21.08.1942 geborene, verheiratete Kläger war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 05.03.1985, seit dem 01.05.1985 als Verkäufer bei der H. GmbH & Co.tätig. Deren Rechtsnachfolgerin war die Insolvenzschuldnerin, die M. Vertriebs GmbH. Mit Änderungsvertrag vom 09.01.2001 wurde der Kläger ab dem 01.01.2001 in der Filiale der Insolvenzschuldnerin in R. als Verkäufer beschäftigt, wo er ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 1.807,42 EUR zuzüglich 51,18 EUR Fahrtkostenerstattung bezog. Neben dem Kläger waren in dieser Filiale noch eine weitere Vollzeitkraft sowie eine Teilzeitkraft beschäftigt. Die Filiale in R. ist am Busbahnhof in der Nähe des Eingangs eines Einkaufszentrums gelegen.

Der Beklagte zu 1) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der folgenden Gesellschaften: D. M. GmbH, G. G. Vertriebs GmbH und M. Vertriebs GmbH. Die D. M. GmbH ist die 100%ige Gesellschafterin der beiden o.g. Gesellschaften und übt als Holdinggesellschaft zentrale Verwaltungs- und Steuerungsfunktionen des Einzelhandelsfilialisten, wie u.a. Einkauf, Warenwirtschaftsystem, Controlling, Rechnungswesen, Personalwesen und Mietvertragsverwaltung für jeden einzelnen Standort aus. Über das Vermögen der Firma M. Vertriebs GmbH wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 01.04.2000 (501 IN 12/00) das Insolvenzverfahren eröffnet. Die M. Vertriebs GmbH und die G. G. Vertriebs GmbH, über deren Vermögen ebenfalls durch Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 01.04.2000 (501 IN 13/00) das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, unterhielten bei Verfahrenseröffnung bundesweit ein Netz von 336 Einzelhandelsgeschäften zum Verkauf von Tabakwaren, Raucherzubehör, Geschenkartikeln, Telefonkarten sowie zum Teil zum Betrieb von Lotto/Toto-Annahmestellen.

Am 30.04.2002 bestanden noch 234 Filialen, von denen der Beklagten zu 1) in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter 83 mit Wirkung zum 01.05.2002 an die W. T. GmbH, eine 100%ige Tochter der D. Group aus B., verkaufte. Die weiteren 151 Filialen wurden am 11.05.2002 geschlossen. Die unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren wurden an den Lieferanten zurückgegeben. Es wurden sämtliche Mietverträge mit dem jeweiligen Vermieter gekündigt. Des weiteren wurden sämtliche Arbeitnehmer freigestellt. Zu diesen 151 Filialen gehörte auch die Filiale in R., in der der Kläger beschäftigt war. In dieser Filiale wurden sämtliche Warenbestände an diesem Tag und dem 13.05.2002 abtransportiert. Der Mietvertrag über die Räumlichkeiten wurde durch den Beklagten zu 1) fristgerecht zum 31.12.2002 gekündigt, wobei der Beklagte zu 1) auch einer Weitervermietung vor Ablauf der Kündigungsfrist zustimmte.

Mit Schreiben vom 11.06.2002 kündigte der Beklagte zu 1) sämtliche Beschäftigungsverhältnisse, der in denen am 11.05.2002 geschlossenen 151 Filialen beschäftigten Arbeitnehmer. Dem Kläger wurde ebenfalls mit Schreiben vom 11.06.2002 zum 30.09.2002 durch den Beklagten zu 1) gekündigt. Der Kündigung waren vorausgegangen der Abschluß eines Interessenausgleiches mit fest verbundener Namensliste aller zu kündigenden Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat des gemeinsamen Betriebes der Gesellschaften M. Vertriebs GmbH, G. G. Vertriebs GmbH und D. M. GmbH und der Abschluß eines Sozialplanes. Im Interessenausgleich ist die Einstellung des Geschäftsbetriebes der noch verbleibenden 151 Filialen ...

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