Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung im Zuge der Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Den Insolvenzverwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 InsO abzuschließen. Kommt ein solcher Interessenausgleich nicht zustande, dann verbleibt es für die Überprüfbarkeit ausgesprochener Kündigungen des Insolvenzverwalters bei den allgemeinen Regelungen und Grundsätzen des Kündigungsschutzgesetzes, insbesondere bei der Darlegungs- und Beweislast des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG.

2. Die Sozialauswahl ist – wenn der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag nicht im Wege des Direktionsrechts in andere Betriebsteile versetzt werden kann – nach Auflösung des bisherigen Gemeinschaftsbetriebes auf den Betrieb seiner Vertragsarbeitgeberin beschränkt. Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil der Beklagte zum Insolvenzverwalter aller am bisherigen Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen bestellt worden ist.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 11.02.2003; Aktenzeichen 5 Ca 2197/00)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.02.2005; Aktenzeichen 2 AZR 214/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.02.2003 (5 Ca 2197/00) abgeändert:

Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 9.203,75 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von dem Beklagten wegen Betriebsstillegung ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

Die im Zeitpunkt der Klageerhebung 54 Jahre alte, verheiratete Klägerin ist zum 04.04.1966 von der Firma E. GmbH in H. als Bürokauffrau eingestellt worden. Über das Vermögen der vorgenannten Firma ist in der ersten Hälfte des Jahres 1997 das Konkursverfahren eröffnet worden. Anschließend entstanden drei Auffanggesellschaften, nämlich die E. A. GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), die E. M. GmbH und die E. E. GmbH. Trotz rechtlicher Selbständigkeit standen diese drei Unternehmen unter einer einheitlichen Leitung und hatten einen gemeinsamen Betriebsrat sowie eine gemeinschaftliche kaufmännische Verwaltung. Über das Vermögen der vorgenannten drei Firmen ist durch Beschlüsse des Amtsgerichts Hagen vom 01.08.2002 – 103 IN 124/02, 103 IN 125/02 und 103 IN 126/02 jeweils das Insolvenzverfahren eröffnet und jeweils der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Auch über das Vermögen der Komplementär GmbH, der E. I. GmbH, ist durch Beschluß des Amtsgerichts Hagen vom 01.08.2002 – 103 IN 127/02 – das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Mit Schreiben vom 07.08.2002 an den „Betriebsrat der E.-Gruppe” unterrichtete der Beklagte diesen unter Hinweis auf die notwendige Einstellung der Produktion über die von ihm beabsichtigten Kündigungen sämtlicher Mitarbeitern der Insolvenzschuldnerin und der E. E. GmbH. Zugleich teilte er mit, daß sich für die Produktionsstätte der E. M. GmbH zwar ein Kaufinteressent gemeldet habe, dieser aber zur Übernahme nur unter Reduzierung des Personalbestandes auf 12 bis 13 Arbeitnehmer bereit sei, weshalb noch eine Auswahlliste erstellt werden müsse. Mit Schreiben vom 22.08.2002 beanstandete der Betriebsrat, daß die Liste mit den zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmern erst am 16.08.2002 übermittelt worden sei. Zwischenzeitlich hatte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 15.08.2002 wie folgt gekündigt:

Ich beziehe mich auf die Freistellung vom 07.08.2002 und kündige hiermit das Arbeits- bzw. Anstellungsverhältnis zum nächstmöglichen Termin.

Nach § 113 InsO beträgt die Kündigungsfrist im eröffneten Insolvenzverfahren höchstens 3 Monate. Sollte Ihre Kündigungsfrist regulär gesetzlich, einzelvertraglich oder tarifvertraglich länger sein, steht Ihnen für den überschießenden Zeitraum ein Schadensersatzanspruch als Insolvenzforderung zu.

Sollte Ihr Beschäftigungsverhältnis aus welchen Gründen auch immer, regulär unkündbar sein, kündige ich dies vorsorglich außerordentlich mit einer Auslauffrist einer ordentlichen Kündigung, max. also 3 Monate zum Monatsende. Im übrigen verweise ich auf die vorstehenden Ausführungen.

Die Kündigung wird mit der Schließung des Betriebes begründet.

Der Betriebsrat wurde zu dieser Kündigung angehört.

Bitte melden Sie sich bei Ihrem zuständigen Arbeitsamt arbeitslos.

Auch die Mitarbeiterin B. aus der kaufmännischen Verwaltung erhielt am 16.08.2002 die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses mit der Insolvenzschuldnerin, wurde aber zugleich vom Beklagten rückwirkend ab dem 01.08.2002 auf die Gehaltsliste E. M. GmbH gesetzt und auf dieser Grundlage weiter beschäftigt.

Mit ihr am 26.08.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 23.08.2002 hat sich die Klägerin gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten zur Wehr gesetzt. Sie hat sich auf die Sozialwidrigkeit der Kündi...

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