Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungsmäßigkeit des Widerspruchs des Betriebsrates
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn der Betriebsrat einer beabsichtigten Kündigung nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG widerspricht, weil der Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, ist für die Ordnungsmäßigkeit des Widerspruchs ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Welche Anforderungen im einzelnen zu stellen sind, richtet sich nach den Angaben, die der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren zur sozialen Auswahl gemacht hat.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Herne (Urteil vom 06.06.2001; Aktenzeichen 1 Ca 3631/00) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 06.06.2001 – 1 Ca 3631/00 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verfolgt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges Lohnansprüche für die Zeit vom 01. bis 25.09.2000.
Der am 16.04.1953 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 04.04.1977 bei der Beklagten als Transportarbeiter beschäftigt. Er wurde als Staplerfahrer in dem fertigungsnahen Bereich „Innerbetrieblicher Transport” eingesetzt, der unter der Kostenstelle 252 geführt wurde. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich zuletzt auf 3.763,63 DM. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.
Aufgrund der Krise der asiatischen Märkte befand sich der Bereich Prozess-Luftkühler der Beklagten seit 1998 in einer äußerst kritischen Situation. Die Beklagte schaltete deshalb die Unternehmensberatung R3xxxx B8xxxx und P1xxxxx GmbH ein, die im November 1999 ihre Studie vorlegte. In der Folgezeit wurden mit dem Betriebsrat Gespräche aufgenommen, um über eine Betriebsänderung zu beraten und zu einem Interessenausgleich zu kommen. Nachdem dies nicht gelang, rief die Beklagte am 08.12.2000 die Einigungsstelle an, die am 14., 17. und 18.01.2001 tagte. Am 18.01.2001 stellte der Vorsitzende der Einigungsstelle fest, dass die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs gescheitert seien. Am 19.01.2000 informierte die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit 178 Arbeitnehmern, unter ihnen der Kläger. Zur Begründung führte sie an, dass mit Geschäftsführerbeschluss vom 18.01.2000 die Entscheidung getroffen worden sei, den Betriebsteil Produktion Prozesskühler zum 29.02.2000 stillzulegen. Da die Produktion einschließlich der Tätigkeiten der fertigungsnahen Betriebsteile eingestellt werde, seien keine mit den zu kündigenden Mitarbeitern vergleichbare Arbeitnehmer vorhanden. Demzufolge entfiele auch der Sozialdatenvergleich. Zum Inhalt der schriftlichen Anhörung des Betriebsrates im einzelnen, dem der Vermerk der Geschäftsleitung vom 18.01.2000 über die unternehmerische Entscheidung beigefügt war, wird auf Bl. 14 – 24 d.A. verwiesen.
Mit schriftlicher Stellungnahme vom 26.01.2000, die bei der Geschäftsleitung der Beklagten am 26.01.2000 einging, widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger wie folgt:
„Widerspruch
Sehr geehrter H4. D2. K2xxxxxxx,
der Kündigung des Arbeitnehmers M3xxxx B3xxxxxxxx wird widersprochen, da bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, sowie deren Unterhaltspflicht des Arbeitnehmers nicht ausreichend berücksichtigt worden sind (§ 102, Abs. 3, Ziff. 1 BetrVG, sowie § 1, Abs. 3 KSchG).
Der 46 Jahre alte Arbeitnehmer ist seit 22 Jahren bei der Firma G1x L1xxxxxxxx GmbH beschäftigt.
Er ist für 1 Person unterhaltspflichtig.
Der Arbeitnehmer ist in der Abteilung 252 als Staplerfahrer beschäftigt.
In vergleichbaren Abteilungen sind mehrere Arbeitnehmer tätig, die wesentlich jünger sind, eine geringere Betriebszugehörigkeit aufweisen und geringere Unterhaltspflicht haben.
Daneben sind in der Betriebsbetrachtung eine Vielzahl von Arbeitnehmern mit weniger günstigen Sozialdaten beschäftigt, die mit dem Arbeitnehmer in ihrer Qualifikation vergleichbar sind, jedoch sachwidrig nicht in die soziale Auswahl einbezogen wurden (BAG, Urteil vom 15.06.89 – 2 AZR 580/88 – DB 1990, 380).
Beispielhaft werden hier die Mitarbeiter der Kostenstelle 451 genannt, die trotz schlechterer Sozialdaten in der Fertigung weiter beschäftigt werden, um danach in die Firma G1x I1xxxxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH eingegliedert zu werden bzw. weiter beschäftigt zu werden.
Ferner dürfen wir feststellen, dass die sogenannte Positivliste (Personal das nicht gekündigt werden soll) bis heute nicht dem Betriebsrat übergeben wurde, damit diese Sozialdaten vergleichen kann (ebenfalls eine Forderung des Einigungsstellenvorsitzenden H4. Krasshöfer Direktor des Arbeitsgerichts Rheine).
Mit freundlichen Grüßen
– D4x –
BR-Vorsitzender
PS: Im übrigen ist der Betriebsrat nicht in der Lage ein Anhörungsverfahren gemäß der gesetzlichen Auflagen...