Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungsverbot gemäß § 1 Abs. 1 MuSchG
Leitsatz (amtlich)
Spricht ein Arzt nach einer längeren Zeit der Arbeitsunfähigkeit einer Schwangeren ein Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG aus, ist dies nur dann gerechtfertigt, wenn die Schwangere zu Beginn des Beschäftigungsverbots arbeitsfähig ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn die versuchte Aufnahme der Beschäftigung nach wenigen Stunden zum Abbruch der Tätigkeit führt, weil dieselben Krankheitsmerkmale aufgetreten sind, welche den Arzt zuvor veranlasst hatten, die Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren zu bescheinigen.
Es bedarf keiner erneuten Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz, wenn die vom Arzt erhobenen Befunde unstreitig sind, das Berufungsgericht der medizinischen Bewertung des Arztes grundsätzlich folgt, sich aber aus der Würdigung dieser Umstände ergibt, dass der Arzt die rechtlichen Voraussetzungen eines Beschäftigungsverbots verkannt hat.
Normenkette
MuSchG § 3 Abs. 1, § 11 Abs. 1; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Arnsberg (Entscheidung vom 18.05.2000; Aktenzeichen 2 Ca 1161/99) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 18.05.2000 – 2 Ca 1161/99 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Mutterschutzlohn für die Zeit eines Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG in Anspruch.
Die am 22.06.1959 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.1989 als kaufmännische Angestellte bei der Beklagten tätig. Im Frühjahr/Frühsommer 1999 wurde die Klägerin schwanger. Es handelte sich um eine Risikoschwangerschaft aus mehreren Gründen.
Nach vorangegangenen krankheitsbedingten Fehlzeiten hatte die Klägerin in der Zeit vom 05.07. bis 23.07.1999 Urlaub, arbeitete am 26.07., war krank vom 27.07. bis 31.08.1999, arbeitete vom 01.09. bis 03.09.1999 und war wiederum erkrankt vom 06.09. bis 17.09.1999. Weil die Klägerin zuvor erklärt hatte, sie habe mit ständigem Unwohlsein und starker Übelkeit am Arbeitsplatz zu kämpfen, nahm sie am 20.09.1999 ihre Arbeit in einem anderen Büroraum auf. Die Beklagte wollte herausfinden, ob das Unwohlsein auf die Bedingungen des Arbeitsplatzes zurückzuführen sei. Die Klägerin erklärte, dass sie auch in dem anderen Büroraum Probleme habe und verließ um 11.00 Uhr nach Rücksprache mit ihrem Abteilungsleiter das Firmengelände. Unter dem Datum vom 21.09.1999 stellte der Frauenarzt der Klägerin, Dr. Kurtzmann, folgendes „Ärztliches Attest” aus:
„Diagnosen:
- Gravidität in der 13. SSW
- gesundheitliche Arbeitsplatzbelastung
- rezidivierende Hyperemesis gravidarum
Bei der o.g. Patientin besteht eine Gravidität in der 13. SSW. Die Pat. arbeitet als kaufmännische Angestellte bei der Firma Interprint in A1xxxxxx-B2xxxxxxxxx. Sie ist in ihrem Büro ständig dem Geruch von Lacken und Farben (organischer Herkunft) ausgesetzt, die die Übelkeit hervorrufen und zu ständigem Erbrechen führt. Trotz Umsetzung an einen anderen Arbeitsplatz war eine Veränderung der gesundheitlichen Gefährdung durch Ausdünstungen nicht zu erreichen.
Aus diesen Gründen muß unter Beachtung des Mutterschutzgesetzes und der Sozialgesetzgebung ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden.
Zeitraum.: 21.09.99 – Beginn Mutterschutz (17.02.00)”
Dieses Attest widerrief Dr. K3xxxxxxx ausdrücklich mit der Maßgabe, dass falsche Gründe für das Vorliegen des Beschäftigungsverbots angeführt seien, die auf der Schilderung des Arbeitsplatzes seiner Patientin beruht hätten. Zuvor hatte er unter dem Datum vom 28.09.1999 ein weiteres Beschäftigungsverbot ausgesprochen, welches er wie folgt begründete:
„Bei der o.g. Patientin besteht aufgrund einer Risikoschwangerschaft ein Beschäftigungsverbot laut § 3 (1) des Mutterschutzgesetzes. Auch nach Umsetzung der Patientin auf einen anderen Arbeitsplatz hat sich keine Änderung der schwangerschaftsbedingten Beschwerden ergeben, so dass eine Gefahr für das noch ungeborene Leben und die Gesundheit der werdenden Mutter bei Fortdauer der Beschäftigung besteht.”
Ebenfalls unter dem Datum vom 28.09.1999 nahm der A2xx für i2xxxx M4xxxxx Dr. F2xxxxx vom W5xxxxxxxxxxxxx A1xxxxxx-S2xxxxx e.V., den die Beklagte zu Rate gezogen hatte, zum Arbeitsplatz der Klägerin wie folgt Stellung:
„Aufgrund meiner Arbeitsplatzbesichtigung an o.g. Tage und durch das ergänzende ausführliche Gespräch mit Mitarbeitern Ihres Betriebes halte ich eine mögliche Gesundheitsgefährdung am Arbeitsplatz der Frau B3xxxxx für äußerst unwahrscheinlich. Auch eine Geruchsbelästigung dürfte in den letzten Monaten kaum oder nur in geringem Umfang vorgelegen haben.
Eine zusätzliche Messung zum sicheren Ausschluß von Gefahrstoffen am genannten Arbeitsplatz durch einen Fachmann ist jedoch durchaus zu empfehlen.”
Die empfohlenen Messungen ergaben später, dass sämtliche Grenzwerte um mehr als 1/10 unterschritten wurden und innerhalb der Bandbreite der erfahrensgemäß in Büroräumen auftretenden Werte lage...