Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Übung als Anspruchsgrundlage. Anspruch aus betrieblicher Übung für Betriebsrentner und für aktive Arbeitnehmer. Kein Junktim zwischen Leistungen aus betrieblicher Übung an Rentner und aktive Arbeitnehmer. Keine Ablösung der betrieblichen Übung durch eine "negative Gesamtzusage"
Leitsatz (amtlich)
1. Durch die Gewährung freiwilliger Beihilfeleistungen an Betriebsrentner kann eine betriebliche Übung zugunsten der aktiven Arbeitnehmer entstehen, die darauf vertrauen dürfen, dass diese Handhabung auch zu ihren Gunsten nach Eintritt des Versorgungsfalles fortgeführt wird.
2. Ohne eine besondere Erklärung des Arbeitgebers ist die betriebliche Übung nicht mit dem Inhalt entstanden, dass die Beihilfeleistungen für die Betriebsrentner an die Gewährung von Beihilfeleistungen für aktive Arbeitnehmer gebunden sind.
3. Die entstandene betriebliche Übung kann nicht durch eine „negative Gesamtzusage“ abgelöst werden, die auf Einstellung der Beihilfeleistungen gerichtet ist.
Leitsatz (redaktionell)
Eine betriebliche Übung entsteht durch ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestaltet und geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung zu begründen, wenn und soweit der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen durfte, ihm werde eine entsprechende Leistung auch zukünftig gewährt. Dieses Verhalten ist als Vertragsangebot zu werten, das von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen werden kann, wobei der Zugang der Annahmeerklärung nach § 151 BGB entbehrlich ist.
Normenkette
BGB §§ 133, 151, 157, 242, 313 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Entscheidung vom 04.06.2021; Aktenzeichen 5 Ca 98/21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 04.06.2021 - 5 Ca 98/21 - wird zurückgewiesen; das angegriffene Urteil wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über den 01.01.2021 hinaus Beihilfeleistungen nach Maßgabe des Teils IV Nr. 34 der Vereinsordnung A e.V. vom 15.12.1978 zu gewähren.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger zu 50 % und die Beklagte zu 50 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten Beihilfen im Krankheitsfall (Zuschüsse zu Krankheitskosten) beanspruchen kann.
Der Kläger wurde am 07.03."0000" geboren. Er war seit dem 01.01.1986 als Diplom-Psychologe bei dem Rechtsvorgänger der Beklagten tätig. Das Arbeitsverhältnis ging im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Im Arbeitsvertrag vom 13.05.1987 ist unter anderem Folgendes vereinbart:
"9. Im Übrigen finden die Bestimmungen der Vereinsordnung vom 15.12.1978 in ihrer jeweiligen Fassung sowie die Festlegungen des Manteltarifvertrages vom 20.12.1979 in seiner jeweiligen Fassung und die jeweiligen Betriebsvereinbarungen auf das Dienstverhältnis Anwendung.
10. Änderungen und Ergänzungen des Vertrages sind nur verbindlich, wenn sie schriftlich abgefasst oder bestätigt sind."
Im Hinblick auf die Gewährung von Beihilfen ist in Teil IV der Vereinsordnung vom 15.12.1978, die zwischen dem Vorstand des Rechtsvorgängers der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, unter anderem Folgendes geregelt:
"Teil IV: Beihilfen
34. Beihilfe im Krankheitsfall
34.1 Der Verein gewährt den Mitarbeitern im Falle von Krankheit Beihilfen zu den Kosten der ambulanten Arztbehandlung und zu den Aufwendungen für ärztlich verordnete Heilmittel (einschl. Zahnbehandlung und Zahnersatz).
(...)
34.2 Voraussetzungen für eine Beihilfegewährung sind:
a) dass der Mitarbeiter unter den Geltungsbereich der Vereinsordnung fällt,
b) dass der Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Jahr dem Verein angehört hat und dass er mindestens 15 Std./Woche tätig ist,
c) (...)
d) dass der Mitarbeiter zu der Zeit, in welcher Aufwendungen entstanden sind, laufende oder Krankenbezüge im Rahmen des mit dem Verein bestehenden Dienstverhältnisses erhalten hat. Hierzu zählt auch die Zeit für welche ein Mitarbeiter in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird,
(...)"
Die Vereinsordnung sieht vor, dass durch Rechnungen nachgewiesene notwendige Aufwendungen, die dem Mitarbeiter durch seine eigene Erkrankung oder durch die Erkrankung beihilfeberechtigter Familienangehöriger entstanden, beihilfefähig sind. Hierzu zählen insbesondere die Kosten für ambulante ärztliche Behandlung sowie die Aufwendungen für ärztlich verordnete Heilmittel und stationäre Krankenhausbehandlungen, ferner Aufwendungen zur Durchführung von Maßnahmen zur Wiedererlangung der Gesundheit.
Der Rechtsvorgänger der Beklagten gewährte seit Inkrafttreten der Vereinsordnung vom 15.12.1978 Beihilfeleistungen nach Maßgabe der Vereinsordnung auch an ausgeschiedene Arbeitnehmer, soweit es sich um Betriebsrentner handelte. Die damalige Personaldienstleisterin der Unternehmensg...