Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplan, Abfindung, Altersgrenze, rentennahe Jahrgänge, Altersdiskriminierung, vorgezogene Altersrente, Verhältnismäßigkeitsprüfung, Teilunwirksamkeit von Sozialplänen. Altersdiskriminierung durch Ausnehmen älterer, bereits rentenberechtigter Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Betriebsparteien können ältere Arbeitnehmer, die nach ihrem Ausscheiden gesetzliche Altersrente in Anspruch nehmen können, nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG grundsätzlich von Sozialpianleistungen ausschließen. Nach § 10 Satz 2 AGG dürfen deren Interessen allerdings nicht unverhältnismäßig stark vernachlässigt werden. Deshalb kann es jedenfalls bei einem im Übrigen großzügig dotierten Sozialplan geboten sein, Arbeitnehmer, die wegen der damit verbundenen Rentenabschläge davon absehen, vorgezogene Altersrente in Anspruch zu nehmen, mit solchen Arbeitnehmern gleichzustellen, die erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze Altersrente beziehen können und denen deshalb eine Sozialplanabfindung zusteht.

 

Normenkette

BetrVG § 112; AGG § 10 S. 3 Nr. 6, S. 2; Richtlinie 2000/78/EG

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 22.02.2011; Aktenzeichen 5 Ca 3925/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.12.2014; Aktenzeichen 1 AZR 102/13)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.02.2011 - 5 Ca 3925/10 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.950,46 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2011 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 19/20 und die Beklagte 1/20.

Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in zweiter Instanz noch über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.

Der am 16.04.1947 geborene Kläger, der verheiratet und einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 16.05.1969 bei der Firma E1, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, als Systemingenieur in deren Niederlassung Düsseldorf, Außenstelle Dortmund, beschäftigt. Zuletzt erzielte er einen Grundverdienst in Höhe von 5.628,00 € brutto zuzüglich einer Kontoführungsgebühr in Höhe von monatlich 1,28 € und vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 26,59 €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verdienstabrechnung für den Monat April 2011 auf Aktenblatt 355 verwiesen.

Im Jahr 2010 entschloss sich die Firma E1, ihre Betriebe in Düsseldorf, Stuttgart, Erfurt, Hamburg und Unterschleißheim zusammenzuführen an die verbleibenden Standorte in Berlin, Frankfurt/Sulzbach und Ulm (Projekt "Trigonium"). U.a. der Betrieb Düsseldorf einschließlich der Außenstelle Dortmund wurde geschlossen. Am 16.06.2010 vereinbarte die Firma E1 mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat einen Sozialplan, in dem es unter anderem heißt:

" . . .

1.1 Dieser Sozialplan gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Beschäftigte) der E2- Betriebe Stuttgart, Erfurt, Hamburg, Düsseldorf und Unterschleißheim, die in Folge der betriebsändernden Maßnahmen im Zuge des Projekts Trigonium von einer Verlagerung ihres Arbeitsplatzes an einem anderen Arbeitsort betroffen sind und das Versetzungsschreiben erhalten haben.

. . .

2.4 Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis

Es werden keine Abfindungen gewährt, wenn ein Beschäftigter in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis weiterbeschäftigt werden kann und die Weiterbeschäftigung ablehnt. Die Zumutbarkeit bestimmt sich gemäß Anlage 1 dieses Sozialplans und in Anlehnung an § 112 Abs. 5 Ziff. 2 BetrVG.

Sollte die Weiterbeschäftigung an dem neuen Arbeitsort nicht zumutbar sein und der Beschäftigte sich für ein Ausscheiden aus der E2 entscheiden, erhält er eine einmalige Abfindung gemäß den nachfolgenden Regelungen.

Beschäftigte, die zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 58.Lebensjahr vollendet haben, fallen ausschließlich unter die Regelung der Ziffer 2.5.

1. Berechnung der Abfindung

1.1. Als Grundbetrag werden einheitlich EURO 2.500,- gezahlt.

1.2. Als Steigerungsbetrag erhalten ausscheidende Beschäftigte folgende Abfindungsleistung:

Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt

Für die Ermittlung der Abfindung gelten folgende Definitionen:

Lebensalter und Betriebszugehörigkeit

Jahre zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, berechnet auf zwei Stellen nach dem Komma und auf eine Stelle hinter dem Komma kaufmännisch gerundet.

Bruttomonatsentgelt

Das Bruttomonatsentgelt (BME) errechnet sich aus dem Durchschnitt der monatlichen Bezüge der letzten 12 voll abgerechneten Monate, wobei in die Berechnung des Gesamtverdienstes die Mehrarbeitsvergütungen und die auf die Mehrarbeit entfallenden Zuschläge nicht einbezogen werden; ausgenommen sind außerdem Leistungen für Aufwendungen der Beschäftigten, die während der bezahlten Ausfallzeit nicht entstehen, z.B. bezahlte Reisezeiten, Fahrkostenerstattungen, Reisespesen, Zuschüsse, Dienstwagenentgelte.

1.3. Ergän...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?