Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung. Anhörung. Reihenfolge der Anhörung
Leitsatz (amtlich)
Eine Verdachtskündigung ist unwirksam, wenn die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers erst nach Anhörung der Mitarbeitervertretung erfolgt.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 11.10.2011; Aktenzeichen 4 Ca 322/11) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 11.10.2011 - 4 Ca 322/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer fristlosen Kündigung der Beklagten beendet wurde (die Beklagte wirft der Klägerin vor, Vermögensdelikte zum Nachteil anderer Mitarbeiter begangen zu haben).
Die Beklagte führt das St. B1 Krankenhaus in G1. Dort arbeitet die Klägerin (geboren am 27.09.1956) seit dem 01.09.1975 als Mitarbeiterin im Pflegedienst. Ausweislich der Regelung unter § 2 des Dienstvertrages, den die Parteien unter dem 15.07.1975 abschlossen, gelten für das Arbeitsverhältnis die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR). Die Klägerin wurde zunächst als Kinderpflegerin eingestellt. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses wurden ihr nach Schließung der Kinderabteilung mehrfach andere Arbeitsaufgaben zugewiesen, zuletzt in der Bettenabteilung.
Die Klägerin wurde mit Urteil des Amtsgerichts Gladbeck im Jahr 2006 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe in Höhe von 7 Tagessätzen verurteilt.
Am 28.09.2010 erstattete der Arbeitnehmer N2, der als Küchenhelfer im gleichen Krankenhaus tätig ist, in dem auch die Klägerin beschäftigt wird, Strafanzeige wegen Diebstahls gegen die Klägerin. Nach den Angaben des Anzeigen erstatters wurde ihm ein Ehering sowie ein Mobiltelefon im Gesamtwert von rund 150,- Euro im September 2009 aus der Tasche seiner Jacke entwendet, die im Aufenthaltsraum des Küchenpersonals über einem Stuhl hing. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens haben der Arbeitnehmer N2, dessen Sohn sowie die Tochter der Klägerin Angaben gemacht, die die Klägerin belasteten. Die Tochter der Klägerin lebte damals im Streit mit ihrer Mutter und war mit dem Sohn des Mitarbeiters N2 sowie dessen Ehefrau befreundet. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens wurde die Klägerin per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Dieser Strafbefehl wurde rechtskräftig.
Im Januar 2011 informierte der Mitarbeiter N2 den Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung über den Erlass des Strafbefehls gegen die Klägerin; der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung leitete diese Information an den Bereichsleiter Personal weiter.
Am 22.01.2011 erhielt der Geschäftsführer der Beklagten eine Email mit folgendem Wortlaut:
"von:u1@a1.c1
Gesendet: Samstag, 22. Januar 2011 14:22
An: info-kkel
Betreff: Ich habe Angst
Guten Tag,
ich bin U2 W1 und arbeite in dem Bettenlager des Krankenhauses St. B1 in G1. Ich bin so gut wie ausgeliefert, denn jetzt habe ich eine Geldstrafe erhalten der Polizei. Ich muss Frau S2 und Frau G2 ein Geständnis erteilen. Ich habe tatsächlich die Spinte aufgebrochen und all Sachen gestohlen auch von Mitarbeitern des Hauses. Ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz. Was soll ich tun. Ich kann es nur per Email zugeben da ich schreckliche Angst habe was geschieht.
Mit freundlichen Grüßen
U2 W1
K2 s3. 12
12345 G1"
Mit Schreiben vom 31.01.2011 informierte die Beklagte die Mitarbeitervertretung darüber, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin "aus wichtigem Grund (Diebstahl am Arbeitsplatz) ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist" aufzukündigen. Der Vorsitzende der Mitarbeitervertretung teilte der Beklagten per Email am Morgen des 03.02.2011 mit, die Mitarbeitervertretung habe den Beschluss gefasst, keine Einwendungen gegen die außerordentliche Kündigung der Klägerin zu erheben. Der Bereichsleiter Personal führte am 03.02.2011 ein Gespräch mit der Klägerin über den beabsichtigten Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Der nähere Inhalt dieses Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 03.02.2011 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine fristlose Kündigung aus.
Mit ihrer Klage, die am 21.02.2011 beim Arbeitsgericht einging, hat die Klägerin sich gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt und die Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits begehrt. Die Beklagte hat widerklagend die Rückzahlung einer Weihnachtszuwendung und die Rückzahlung von Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 03.01. bis zum 06.01.2011 verlangt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich unter anderem vorgetragen, sie habe den Arbeitnehmer N2 nicht bestohlen. Die Klägerin habe den durch Einwurf in den Briefkasten zugestellten Strafbefehl nicht erhalten, so dass sie keinen Einspruch habe einlegen können. Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei abgewiesen worden. Der Strafbefehl habe nicht ergehen dürfen. Vor dem Hintergrund der familiären ...