Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungwichtiger Grund. verhaltensbedingte Gründe. personenbedingte Gründe. Krankheit. Anfallsleiden. Wiederholungsgefahr. Sicherheitsbedenken

 

Leitsatz (amtlich)

Personen- oder verhaltensbedingte Kündigung gegenüber psychisch erkranktem Arbeitnehmer nach „Ausrasten” im Betrieb infolge Nichteinnahme verordneter Medikamente; fehlende Wiederholungsgefahr

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Urteil vom 12.01.2011; Aktenzeichen 5 Ca 2580/10)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.01.2011 – 5 Ca 2580/10 – wird zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlussberufung des Klägers wird die Beklagte verurteilt,

  1. den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Montagearbeiter tatsächlich zu beschäftigen,
  2. an den Kläger als Arbeitsvergütung für den Zeitraum 16.01.2011 bis 28.02.2011 3.862,29 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.882,35 Euro netto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 21.03.2011,
  3. als Arbeitsvergütung für den Zeitraum März und April 2011 5.149,72 Euro brutto abzüglich bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 2.509,80 Euro netto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 11.05.2011.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage wendet sich der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger, welcher seit dem Jahre 1993 bei dem beklagten Automobilwerk zuletzt als Montagearbeiter in der Produktion gegen eine monatliche Bruttovergütung von 2.574,86 EUR bei der Beklagten beschäftigt ist, gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung vom 10.09.2010 (Bl. 8 d. A.) und macht ferner nach Obsiegen im ersten Rechtszuge einen Anspruch auf vertragsgemäße Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits sowie Verzugslohnansprüche geltend.

Die angegriffene Kündigung hat die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats und mit – nicht bestandskräftig gewordener – Zustimmung des Integrationsamtes auf der Grundlage folgenden, unstreitigen Sachverhalts ausgesprochen: Am 15.08.2010 – seinem letzten Urlaubstag – betrat der Kläger den Betrieb und schlug, nachdem er auf seine Frage, wo sich sein Ex-Kollege aufhalte, keine Antwort erhalten hatte, mit einem großen Vorschlaghammer drei Scheiben eines Meistercontainers ein. Bereits zuvor hatte er sämtliche Reifen am Fahrzeug des früheren Kollegen Y1 zerstochen. Auf Befragen gab der Kläger gegenüber dem Werkschutz an, Herr Y1 und sein alter Meister K1 hätte ihn in der Vergangenheit psychisch immer fertig gemacht. Unstreitig leidet der Kläger seit langem an einem psychischen Anfallsleiden. Ausgelöst wurde der vorstehend genannte Krankheitsschub durch das eigenmächtige Absetzen der verordneten Medikation.

Die Beklagte hält aufgrund dieses Geschehens die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist für unzumutbar. Im Verhalten des Klägers liege zum einen eine Sachbeschädigung und erhebliche Betriebsfriedensstörung. Darüber hinaus rechtfertige sich die Kündigung auch unter dem Gesichtspunkt der fortbestehenden psychischen Erkrankung und der hiermit verbundenen Gefährdung der Mitarbeiter, da eine Wiederholung eines derartigen Anfalls nicht zuverlässig ausgeschlossen werden könne.

Durch Urteil vom 12.01.2011 (Bl. 76 ff. der Akte), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 10.09.2010 nicht beendet worden ist. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, weder das Verhalten des Klägers vom 15.08.2010 noch die bestehende Erkrankung seien als wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB anzusehen. Allein die Tatsache, dass der Kläger am 15.08.2010 eine Sachbeschädigung verursacht habe, könne unter Berücksichtigung der langen Beschäftigungsdauer und des Fehlens einer Abmahnung eine fristlose Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen nicht rechtfertigen; dass der Kläger darüber hinaus Dritte bedrohen oder gar Tätlichkeiten habe begehen wollen, lasse sich dem Beklagtenvorbringen nicht entnehmen, weshalb auch eine nachhaltige Störung des Betriebsfriedens nicht angenommen werden könne. Dies gelte erst recht, sofern der Kläger am 15.08.2010 ohne Verschulden gehandelt haben sollte. Auch die Voraussetzungen einer personenbedingten fristlosen Kündigung seien nicht gegeben. Ein solcher Kündigungsgrund könne zwar vorliegen, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit nicht in der Lage sei, sein Verhalten zu steuern und weiter unberechenbar bleibe. Dass dies der Fall sei, lasse sich jedoch nicht feststellen. Hiergegen spreche bereits der Umstand, dass sich der Kläger wegen seiner rund 10 Jahre vorliegenden paranoiden Schizophrenie ...

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