Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer aus betrieblichen Gründen erklärten arbeitgeberseitigen Kündigung. Anspruch des Arbeitnehmes auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs
Leitsatz (redaktionell)
1. Die beabsichtigte Betriebsstilllegung ist ein dringendes betriebliches Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer in dem Betrieb gemäß § 1 Abs. 2 KSchG entgegensteht.
2. Hat ein Arbeitgeber alle verbliebenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen Betriebsstilllegung entlassen, kommt eine Sozialauswahl nicht in Betracht.
3. Der Ordnungsgemäßheit des Konsultationsverfahrens steht nicht entgegen, dass ein Arbeitgeber die Absicht verfolgt, seine unternehmerische Planung in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat in Gänze durchzudrücken.
4. Der Unternehmer kanndie Betriebsänderung ohne eine Einigung der Betriebsparteien nach seinen Vorstellungen durchführen. Er ist lediglich verpflichtet, zuvor mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs mit dem ernsthaften Willen einer Verständigung zu beraten.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1, §§ 17-18, 23 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Aktenzeichen 1 Ca 1628/19) |
Tenor
Das Versäumnisurteil vom 27.02.2020 - 11 Sa 1483/19 - wird aufrechterhalten.
Die Klägerin trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer aus betrieblichen Gründen erklärten arbeitgeberseitigen Kündigung zum 30.04.2019 und hilfsweise über einen Anspruch der klagenden Partei auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferungsbranche und gehört der A an. In ihrem Produktionsbetrieb in B beschäftigte die Beklagte zuletzt etwa 570 Mitarbeiter. Es war ein lokaler Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitzender C war. Zusammen mit ihrer Gesellschafterin, der D GmbH unterhielt die Beklagte zudem einen Gemeinschaftsbetrieb in E, in dem zuletzt 93 Mitarbeiter beschäftigt waren.
Die 1970 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war seit dem 01.12.1988 bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Für ihre Tätigkeit erzielte sie eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt 3.069,00 €.
Nachdem im Jahr 2017 verschiedene Restrukturierungsversuche der Beklagten betreffend die Standorte B und E gescheitert waren und im September 2017 außerdem ein Großbrand in dem Werk in B zwei bedeutende Produktionsanlagen zerstört hatte, traf die Konzernobergesellschaft, die F mit Sitz in G im April 2018 die Entscheidung, die Standorte in B und E nur noch bis zum 30.04.2019 fortzuführen und zu finanzieren. Mit Gesellschafterbeschlüssen vom 23./24.04.2018 wies sie unter anderem die Geschäftsführung der Beklagten an, die Betriebe in B und E zum 30.04.2019 einzustellen. Wegen der Einzelheiten der vorgenannten Gesellschafterbeschlüsse wird auf die Anlage A zu dem Schriftsatz der Beklagten vom 16.12.2018 verwiesen.
Am 24.04.2018 informierte die Beklagte den Betriebsrat und die Belegschaft über die Sachlage und nahm Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat auf. Mit an den Betriebsrat gerichtetem Schreiben vom 12.06.2018 leitete die Beklagte das Konsultationsverfahren ein. In diesem Schreiben unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat insbesondere über die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollten, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sowie die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Schreibens der Beklagten vom 12.06.2018 wird auf die Anlage E zum Schriftsatz der Beklagten vom 16.12.2018 verwiesen. Am Folgetag, dem 13.06.2018, übersandte die Beklagte der Agentur für Arbeit eine Abschrift des Anschreibens an den Betriebsrat vom 12.06.2018. Am 5., 12., 25., 26., und 28.06.2018 berieten die Betriebsparteien im Rahmen innerbetrieblichen Verhandlungen zum Interessenausgleich über die Möglichkeiten, Entlassungen zu vermeiden, einzuschränken oder zu mildern sowie über die Einsetzung einer Transfergesellschaft. Wegen der Einzelheiten der einzelnen Gespräche wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 24.06.2019 nebst Anlagen verwiesen. Wegen des E-Mail-Schreibens des Bevollmächtigten des Betriebsrats an die Bundesagentur für Arbeit vom 25.06.2018 ("Vermittlungsersuchen nach § 111 Abs. 2 BetrVG") wird auf Bl. 784 GA Bezug genommen. Die Verhandlungen zum Interessenausgleich scheiterten. Im Rahmen einer vom Arbeitsgericht Iserlohn mit Beschluss vom 16.07.2018 (Az.: 2 BV 18/18) eingesetzten Einigungsstelle wurden die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs betreffend die Stilllegung des Betriebs in B sodann am 13.09.2018 nach zwei Sitzungen mit einer Mehrheit von 4:0 Stimmen für gescheitert erkl...