Entscheidungsstichwort (Thema)
rechtswidrige außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. wichtiger Grund. unbefugte Privatnutzung eines E-Mail-Accounts und des Internets. exzessive Nutzung. Weiterleitung von „Fun-Mails”. Verletzung der Verschwiegenheitspflicht. Weiterleitung einer Betriebsvereinbarung an Dritte. unerlaubte Nebentätigkeit. unbefugte Privatnutzung eines Dienstwagens. versuchter Prozessbetrug. Nachschieben von Kündigungsgründen. vorherige Anhörung des Betriebsrats. Erforderlichkeit vorheriger Abmahnung. Interessenabwägung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die unbefugte private Nutzung eines dienstlich zur Verfügung gestellten PC kann ebenso wie die Nutzung eines E-Mail-Accounts grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Die exzessive Nutzung des Internets während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken kann je nach den Umständen des Einzelfalls eine so schwere Pflichtverletzung des Arbeitsvertrags sein, die den Arbeitgeber auch ohne vorangegangene Abmahnung zu einer Kündigung berechtigen kann.
2. Dabei kommen als kündigungsrechtlich relevante Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten folgende Alternativen in Betracht:
- • das Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten aus dem Internet auf betriebliche Datensysteme, insbesondere wenn damit einerseits die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder andere Störungen des betrieblichen Betriebssystems verbunden sein können oder andererseits von solchen Daten, bei deren Rückverfolgung es zu möglichen Rufschädigungen des Arbeitgebers kommen kann, weil etwa strafbare oder pornografische Darstellungen heruntergeladen werden;
- • die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internetanschlusses als solche, weil durch sie dem Arbeitgeber möglicherweise – zusätzliche – Kosten entstehen können und der Arbeitnehmer jedenfalls die Betriebsmittel – unberechtigterweise – in Anspruch genommen hat;
- • die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während der privaten Nutzung seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch seine Arbeitspflicht verletzt.
3. In dem Empfang und Versand von wenigen E-Mails zu privaten Zwecken in einem Zeitraum von nahezu drei Jahren liegt jedoch keine exzessive Privatnutzung des E-Mail-Accounts, hieraus kann keine wesentliche Verletzung der Arbeitspflicht hergeleitet werden.
4. Die schuldhafte Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch einen Arbeitnehmer kann grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
5. Die Ausübung einer unerlaubten Nebentätigkeit kann eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung darstellen, die auch eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich begründen kann.
6. Die unbefugte Nutzung eines Dienstwagens zu Privatfahrten kann grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen
7. Ein zu Lasten des Arbeitgebers begangener versuchter Prozessbetrug ist ein Vermögensdelikt und kann grundsätzlich einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB bilden.
Normenkette
KSchG § 15 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Herne (Urteil vom 25.01.2011; Aktenzeichen 3 Ca 2604/10) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 25.01.2011 – 3 Ca 2604/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
Die am 24.06.1960 geborene Klägerin ist verheiratet. Seit 1984 ist die Klägerin, die eine Ausbildung als Physiklaborantin besitzt, bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden als Chemielaborantin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die chemische Industrie Westfalen Anwendung. Unter Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 erzielte die Klägerin zuletzt eine monatliche Bruttovergütung von rund 2.920,80 EUR brutto.
Die Beklagte gehört einer Unternehmensgruppe an, die weltweit an verschiedenen Standorten Latices und Acrylat-Dispersionen herstellt. Sie hat ihren Sitz in M1 und beschäftigt dort zurzeit 379 Mitarbeiter. Neben Marketing, Vertrieb und Anwendungstechnik sowie Forschung und Entwicklung unterhält die Beklagte in M1 insgesamt zwei Produktionsstätten, und zwar an der W1 (PLC) und im Chemiepark M1 (CPM).
Im Betrieb der Beklagten ist ein aus neun Personen bestehender Betriebsrat gebildet, dessen Vorsitzender Herr P1 B2 ist. Mitglied des Betriebsrats ist seit langen Jahren auch die Klägerin. Sie gehört auch zum Vertrauensleutevorstand der IG BCE. Das Betriebsratsbüro befindet sich im Chemiepark M1 (CPM), Bau 2620.
Die Beklagte unterhält einen Pool mit zurzeit sechs PKW als Dienstfahrzeugen, die unter anderem von den Betriebsratsmitgliedern ausschließlich für Dienstfahrten im Rahmen der Betriebsratstätigkeiten, z. B. für Fahrten von der Zentrale der Beklagten (PLC) in der W1 in M1 zum Chemiepark M1 (CPM) genutzt werden...